Dann doch lieber Zeitung

Ein Teil der sogenannten Blogosphäre beschäftigt sich ausdauernd mit sich selbst. Ich gehöre nicht dazu, mache aber gern mit. Heute: warum ich den Tag lieber mit einer guten Zeitung beginne als mit fünfzehn blöden Blogs.

Die Zeitung hat eine lange Geschichte. Über Jahre, nein: Jahrhunderte, hat die Menschheit gelernt, wie man aktuelle Informationen aufbereitet und verbreitet. Dieses Wissen kann man studieren, das Fach heißt Journalismus. Die Details tun hier nichts zur Sache. Wichtig ist nur, dass es verschiedene Arten von Zeitungsinhalten gibt: mehr oder weniger kurze Meldungen und Berichte; längere Reportagen und Hintergrundartikel; Kommentare; Kreuzworträtsel; Werbung und so weiter. Die kann man alle auch mischen, aber als Journalist weiß man dabei meistens, was man tut.

Für eine Nachricht können zwei, drei Sätze nebst Überschrift genügen, wie ein willkürlich gewähltes Beispiel aus der taz zeigt:

ZEITARBEITSBRANCHE
DGB sieht Armutsrisiko

Der DGB prangert das hohe Armutsrisiko in der Zeitarbeitsbranche an. Jeder 8. Beschäftigte verdiene dort so wenig, dass er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könne und zusätzlich auf staatliche Leistungen angewiesen sei, sagte DGB-Chef Michael Sommer gestern. Er plädierte erneut für einen Mindestlohn von 7,50 Euro. (rtr)

Bereits die Überschrift verrät mir, dass es um den Sklavenhandel geht und dass die Gewerkschaften ein Problem damit haben. Das steht auch noch mal ordentlich im ersten Satz. Im zweiten folgen die Details, im dritten knapp zusammengefasst die Forderung der Gewerkschaft.

Das war sauberes Handwerk. Die Meldung verlangt mir zum Verständnis nicht mehr als das Weltwissen eines durchschnittlichen 12jährigen ab und liefert mir alle darüber hinausgehenden Informationen, ohne dabei jedoch geschwätzig zu werden. Bei größeren, wichtigeren Meldungen wäre der Text länger, aber er wäre im Prinzip genauso aufgebaut und würde genauso funktionieren. Dazu gäbe es vielleicht einen – klar abgesetzten – Kommentar. Der fängt dan typischerweise mit ein, zwei Sätzen zu Einordnung an, die noch mal kurz sagen, worum es im Kommentar überhauopt geht.

Ganz anders die Hobbyisten in der Blogosphäre. Da bekommt man solchen Textschrott hingerotzt:

Social Network: Vicinia.de
von Robert Basic, 19.04.2007 17:42

keine Zeit zum testen von Vicinia.de, hört sich aber ok an, siehe:
Random Noise, Cordobo, Skuub Blog, Benno Rott und Data Division

Dem Namen nach kann man sich ja denken, um was es geht;)

alles weitere in deren Blog (das waren die mit dem Gründertagebuch). Auf alle Fälle haben die noch Potential nach oben: Ich hatte gestern noch vor dem Start mit dem Stefan von Joinr gewitzelt, ob denn 20 angemeldete User nach 2 Monaten gut wären, naja nun haben wir 37 nach 12 Stunden. (…)

Dem Text folgt ein Screenshot, der Feuerwerk und Passbildchen auf einer Website zeigt.

Die Überschrift verrät mir nicht nur nichts bis auf einen Namen, mit dem wohl irgendwie was sein soll, sie führt sogar in die Irre. Tatsächlich geht es nämlich um kein Netz und nichts Soziales, sondern um eine ganz gewöhnliche Website. Was es mit dieser Website auf sich hat, erfahre ich im ganzen Text nicht. Statt dessen lese ich weitere Namen, die mir auch nichts sagen, aber wohl Leute bezeichnen, bei denen ich mehr erfahren könnte. Mit anderen Worten: aus mehr Text (und einem Bild!) erfahre ich weniger als aus drei Sätzen in der Zeitung. Viel weniger. Eigentlich überhaupt nichts.

Nun gut, hier ist Internet. Schauen wir mal, wohin die Links führen.

Random Noise:

Vicinia.de – erster Test

So, nachdem ich mal ein wenig auf vicinia.de unterwegs war, will ich auch gleich mein erstes Review zu diesem Social Network schreiben.

(… es folgen Kommentare zum Aussehen und einzelnen Funktionen, alle ohne Hintergund und Erläuterung …)

Insgesamt macht es einfach Spaß auf der Seite unterwegs zu sein, weil alles schnell und intuitiv funktioniert. Ich hoffe es sammeln sich ein paar Leute an. Durch das Fehlen von Verschandlungsmöglichkeiten wie bei MySpace wird hoffentlich auch ein gewisses Niveau eher bewahrt. Mal sehen, wann sich Robert Basic zu der Seite äußert, sein letzter Beitrag dazu ist ja schon ne Weile her.

Achja, Basis der Seite ist Ruby on Rails.

Der Informationswert wieder nahe null: ich erfahre lediglich, dass die besprochene Website sich irgendwie von MySpace unterscheidet und in Ruby on Rails implementiert ist.

Cordobo:

Vicinia – Deine Nachbarschaft im Netz

Silab Kamawall hat Vicinia ins Netz gestellt und ich bin begeistert. Am Design müssten noch ein zwei Dinge geändert werden, sieht noch ein wenig nach WordPress Theme aus (ja ja ich bin eine alte Meckerfritze) aber ansonsten hat das Projekt schon alles, was ein neues Web 2.0 StartUp heutzutage braucht, Ruby On Rails, AJAX, Kontaktverwaltung, Terminkalender – einziges noch fehlendes Utensil ist das Beta-Logo, aber das sollte wohl demnächst auch noch kommen. Ein wenig mehr Fokus fände ich auch schön, anstatt durch “Funktionalität ohne Ende” in alle Richtungen zu schiessen. (…)

Ich erhalten noch einen Namen, der mir auch nichts sagt. Darüber hinaus erfahre ich lediglich dass die Website wohl das kann, was mein Händi schon seit Jahren für mich erledigt: Kontaktverwaltung und Terminkalender.

Der dritte Link führt zu Skuub und damit immerhin zu einer Art Interview mit dem Entwickler und Betreiber der Website, über die ich immer noch nichts weiß. So richtig Mühe gegeben hat man sich damit nicht, auch hier fehlt Hintergrundinformation zum Verständnis, und die konsequente Kleinschreibung in den Antworten ist eklig. Ein Journalist hätte wohl zuerst gefragt: wer sind sie, was tun sie und was ist dara besonders? Und einer, der es ernst meint, hätte den Vergleich in Frage 2 auch nicht allein dem Interviewpartner überlassen, sondern selber die wichtigsten Akteure recherchiert und verglichen.

Bei Benno Rott bekomme ich auch keine Informationen, dafür immerhin einen brauchbaren Verriss, auch wenn sich der Text nicht so liest:

vicinia, neues Social Network
Posted in Allgemein by Benno Rott on the April 18th, 2007

vicinia.de ist online. Ein neues Start-Up, web2.0, Social-Network. (…) Warum blogge ich über den Start von vicinia.de? Ganz einfach: Ich find die Leute sympatisch. In ihrem Blog (www.noname-community.de) erzählten sie von der Idee bis zur Realisierung, was ihnen durch den Kopf ging, warum sie was wieso wie gemacht haben und haben dabei auch gleich die Nutzer gefragt, wie sie was warum gerne hätten.

(…)

… schnell, nett – aber irgendwie nicht das ultimative … Was fehlt, ist das Herausstellungsmerkmal zu anderen sozialen Netzen.

(…)

Nun ja. Obwohl der Autor die Leute nettfindet, kann er ihrem Angebot wenig abgewinnen. Das ist endlich eine handfeste Information. Ich weiß zwar immer noch nicht, was dieses vicini…video…wiehießdasdochgleich? eigentlich ist, aber ich erfahre immerhin dass, ich es wahrscheinlich nicht brauche. Das hätte man freilich auch kürzer sagen können:

Yet another Website

*yawn*

Der letzte Link führt zum Blog Data Division, aus dem man auch nicht mehr erfährt. Da steht über drei Absätze verteilt, dass die Entwickler und Betreiber der Website auch ein Blog haben (wer hat das nicht heutzutage?), dass sie zuerst eine Idee hatten und erst später auf den Namen vicini…video…wiehießdasdochgleich? gekommen sind und dass die Website auch nur wir MySpace ist.

Und mit solchem Informationsrotz soll man den Tag beginnen? Da läuft man doch spätestens zur Mittagszeit amok, weil man sich nur noch von Spinnern und Versagern umgeben glaubt. Fünf Herren finden die Eröffnung einer Website wichtig genug, um Zeit zu investieren und Texte darüber anzufertigen – aber kein einziger kommt auf die Idee, wenigstens mal den Werbetext der Seite selbst zusammenzufassen. Blöd, nicht wahr? Und alle gucken zu. Mir wäre so was ehrlich gesagt peinlich.

Dass man Blogs nicht lesen muss, ist wirklich ein Feature. Solche Suchspielchen gehören in ein Adventure-Game. Dort kann man sich wenigstens darauf verlassen, dass der Spieler nichts anderes will als Zeit totschlagen und dabei unterhalten werden. Was nicht heißt, dass der Informationsrotz in der vorliegenden Form auch schon unterhaltsam wäre.