Weil’s so schön war und weil im Internet wie üblich allerlei Blödsinn kursiert, reiche ich noch ein Erklärvideo vom RKI weiter. Der Molekularbiologe Martin Moder erklärt anschaulich, was es mit mRNA-Impfstoffen gegen Coronaviren auf sich hat:
Archiv der Kategorie: Covid-19
Kommunikation mit Impfgegnern
Das RKI hat vor kurzem ein Lehrvideo für ÄrztInnen und Gesundheitsfachpersonal veröffentlicht, in dem der Erfurter Psychologe Philipp Schmid über die Kommunikation mit Impfgegnern spricht:
Die beschriebenen Taktiken können auch in anderen Zusammenhängen nützlich sein.
Der Vortrag verweist unterwegs auf eine nützliche Quelle zum Umgang mit Fehlinformation, das Debunking Handbook 2020, das auch auf Deutsch erhältlich ist.
CoronApp-News November 2020
Wir sind jetzt nicht mehr so stolz auf unsere heimische Pandemiebekämpfung wie vor einigen Monaten und blicken mit einer Mischung aus Neid und Abscheu auf jene Länder, die es besser hinbekommen. Deren Erfolgsgeheimnis liegt wohl nicht in besseren Apps, sondern zum Beispiel in konsequenterer Quarantäne. Wie geht’s den Corona-Apps, die uns erlösen sollten?
- Die Corona-Warn-App wird langsam weiterentwickelt.
- Seit einigen Tagen ruft sie Benachrichtigungen mehrmals täglich vom Server ab. Unter der Haube wird das zugrundeliegende Exposure Notification Framework weiterentwickelt, so dass es künftig präzisere Informationen liefert.
- Geplant sind für die nächste Zeit Erinnerungen, falls ein vorliegendes Testergebnis noch nicht geteilt wurde, Informationsangebote in der App als Anreiz, sie regelmäßig zu öffnen (Aber wozu?), eine Kontakttagebuchfunktion sowie nun doch auch eine Funktion zum Check-In in Restaurants etc. per QR-Code. Oder doch nur Links auf externe Angebote, mit denen das bereits geht? Wir werden sehen.
- Nerds hatten für die Clusterverfolgung auf den Ansatz CrowdNotifier gehofft, doch der ist nur theoretisch geil, weil es in der Praxis auch für Menschen ohne App funktionieren muss, gerade bei Cluster-Ereignissen. Merkt man hat nicht, wenn man nur auf die Technik schaut.
- Bastler mit Android-Geräten können jetzt eine Version der Corona-Warn-App verwenden, die ohne Google-Services auskommt und die an Googles Appstore vorbei installiert werden kann und muss.
- Auch diesen Monat gibt es wieder
technische ProblemeUnannehmlichkeiten. Auf Geräten mit den nicht ganz frischen Android-Versionen 6 bis 7.1 funktioniert die Coroa-Warn-App gerade nicht. Zuvor und unabhängig davon gab es eine Sicherheitslücke im Server-Backend; ein Angreifer hätte darüber eigenen Programmcode einschleusen und auf dem Server ausführen lassen können. Anscheinend hat dies jedoch niemand versucht und alle sind stolz wie Oskar, dass sie die Lücke gefunden und behoben haben. - Ein heißes Thema bleibt der bisher wohl geringe Nutzen der App und die Frage, was man dagegen tun könne.
- Nach Zahlen des RKI wurden bis zum 26.11. fast viereinhalb Millionen Testergebnisse per App an die Getesteten übermittelt. Davon waren 150.000 positiv, doch nur 55% der positiv Getesteten benachrichtigten auch ihre von der App erfassten Kontakte.
- Häufig bemängelt werden auch die wenig detaillierten Informationen über gemeldete Risikobegegnungen, was sich, siehe oben, bald verbessern soll.
- Manchem fällt nun endlich auf, dass die Gesundheitsbehörden gar nichts von der Corona-Warn-App haben. Umgekehrt scheitert aber auch die App am überlasteten Gesundheitssystem. So fallen die versprochenen kostenlosen Tests nach einer Warnmeldung jetzt doch wieder weg, weil man die Testkapazitäten woanders nötiger braucht.
- Einen Schuldigen haben viele bereits ausgemacht: den Datenschutz, das ungeliebte „Supergrundrecht“. In Wirklichkeit ist es wohl eher die Freiwilligkeit nicht nur der App-Nutzung, sondern auch vieler anderer Maßnahmen bis hin zur Quarantäne, die nicht ausreichend durchgesetzt werden. Die Freiwilligkeit betonen jedoch gerade jene, die auch Kompromisse beim Datenschutz ablehnen. Man mag die Forderung nach Datenschutzlockerungen für ein Zombieargument halten, doch davon verschwindet nicht der berechtigte Eindruck, dass die Corona-Warn-App in erster Linie Daten schützt, aber wenig gegen die Pandemie tut, oder dass die Einschränkung anderer Grundrechte einen leiseren Aufschrei verursacht. Auch sollte sich so eine Diskussion nicht auf die Corona-Warn-App fokussieren, sondern müsste ebenso fragen, wieso wir überhaupt so große Hoffnungen in diese Lösung gesetzt haben oder warum wir andere Länder nicht für Vorbilder halten sollen.
- Die Forderung nach extremem Datenschutz wird in Bezug auf die Corona-Warn-App gerne damit begründet, er sei für das Nutzervertrauen essenziell und damit Voraussetzung für deren Akzeptanz. Ganz so einfach ist es wohl nicht. Die real existierende Corona-Warn-App wird dennoch wegen Datenschutzbedenken abgelehnt und in Wirklichkeit treiben persönliche Befindlichkeiten die Nutzung oder Nichtnutzung.
- Seit sich zeigt, dass die Corona-Warn-App keine Wunder wirkt, rückt endlich die – den Sommer über offenbar nicht verbesserte – IT-Ausstattung und Organisation der Gesundheitsämter ins Blickfeld. Nun sollen sie doch endlich alle SORMAS bekommen, aber mitten in der zweiten Welle ist ein schlechter Zeitpunkt, um neue Software einzuführen. Hier und da hat man auch selbst etwas entwickelt. Hätte uns doch nur rechtzeitig jemand gesagt, dass es SORMAS gibt, dass digitale Unterstützung der Pandemiebekämpfung verschiedene Formen annehmen kann und dass es auf die Anforderungsanalyse ankommt und nicht auf Architekturideologie.
- Noch weniger Erfolg als die Corona-Warn-App hat die Datenspende-App des RKI. Dafür war sie schnell verfügbar und wirbelte wenig Staub auf. Eigentlich ein gelungenes Experiment, auch wenn das Ergebnis enttäuscht. Sollten wir öfter machen.
- Die digitale Einreiseanmeldung ist keine App geworden, sondern eine einfache Website.
- Mit der Aussicht auf bald beginnende Impfungen kommen auch digitale Impfpässe näher. Besonders die Luftfahrt hat Interesse an leicht und schnell zu prüfenden Impfnachweisen. Da alle Datenschutzaktivisten damit beschäftigt sind, die Corona-Warn-App zu verteidigen, könnte das ohne große Diskussion durchgehen.
- Zu guter Letzt werden die britischen Apps zur Kontaktverfolgung miteinander vernetzt. Man könnte fast meinen, das Vereinigte Königreich wäre eine kleine EU.
Eigentlich ist also alles wie immer: Digitalisierung und Seuchenbekämpfung verkackt, Datenschutz hochgehalten, und weiterwurschteln. Bis zum nächsten Mal – am 31.12. feiert Covid-19 seinen ersten Geburtstag – wird sich daran wenig ändern.
CoronApp-News Oktober 2020
Jetzt bleiben wir wieder eine Weile zu Hause, ob bis zum Advent oder bis Ostern, ist noch nicht raus. Viel Zeit zum Lesen:
- Für die Corona-Warn-App gibt es jetzt richtig was zu tun. Viele Menschen sehen erstmals Warnungen vor Risikobegegnungen – und sind verwirrt. Wie die App funktioniert und welche Vor- und Nachteile sie hat, fasst eine Infografik von Ania Groß zusammen.
- Seit dem 15. Oktober hat jeder Anspruch auf einen kostenlosen Corona-Test, der von der App nach einer Begegnung mit hohem Ansteckungsrisiko gewarnt wurde.
- Die europaweite Vernetzung der nationalen Corona-Apps hat begonnen. Das Gateway dafür ist in Betrieb und die ersten Länder angeschlossen, neben Irland und Italien auch Deutschland. Bis zu einer umfassenden internationalen Vernetzung ist der Weg jedoch noch weit.
- Die App als solche funktioniert im Großen und Ganzen, wenn auch mit den üblichen kleineren Macken, aber rechts und links davon hakt es.
- Gesundheitsämter und Ärzte sind überfordert, wenn man sich nach einer Warnung der App bei ihnen meldet, jedenfalls in Berlin. Das muss nicht an der App liegen, denn mit der personellen Kontaktverfolgung und anderen Aufgaben sind die Ämter angesichts schnell wachsender Infektionszahlen erst recht überfordert. Allerdings unterstützt die App die Arbeit der Gesundheitsämter nicht und hat auch keine Schnittstelle zu ihnen.
- Noch immer sind nicht alle Testlabore an die App angebunden, was Benachrichtigungen nach einem positiven Testergebnis erschwert und verzögert. Besonders für Kliniklabore ist die Anbindung an ihre IT-Systeme wegen höherer Sicherheitsstandards schwierig.
- Die alten Diskussionen gehen weiter: Ist die Balance zwischen (technischem) Datenschutz und Nutzen richtig austariert? Welche funktionalen Erweiterungen würden der Corona-Warn-App guttun?
- Der Nutzen von Corona-Apps steht insgesamt in Frage, nicht nur in Deutschland. Vor neuen Kontaktbeschränkungen haben sie uns schon mal nicht bewahrt und die Verlässlichkeit der Bluetooth-gestützten Kontakterkennung und Risikobewertung bleibt fraglich.
- Zur Erkennung und Verfolgung von Infektionsclustern trägt die Corona-Warn-App nichts bei. Infektionsorte bleiben unbekannt. Selbst die Stiftung Datenschutz fragt, ob das so bleiben muss.
- Welchen Beitrag leistet die Corona-Warn-App überhaupt zur Pandemiebekämpfung und wie finden wir das heraus?
- Zunehmend als Problem wird der geringe Informationsgehalt der Warnungen wahrgenommen. Bei Begegnungen mit hohem Risiko erfährt man wenigstens das Datum der Begegnung, sonst keine Details.
- In einer Umfrage von n-tv sprach sich die Hälfte der Teilnehmer dafür aus, den Datenschutz der App zu lockern, 39% waren dagegen. Geschützt fühlt sich von der App kau jemand, aber das ist auch nicht ihr Zweck. Laut einer Studie der Uni Duisburg-Essen kommt es für die Akzeptanz auf das Vertrauen in die Betreiber und wahrgenommene Nutzungsvorteile an.
- Tatsächlich in Arbeit ist neben der europäischen Vernetzung nur eine Erweiterung der Corona-Warn-App: ein Symptome-Tagebuch, das Risikobewertungen genauer machen soll.
- Für die Benachrichtigung der Teilnehmer an Clusterereignissen – etwa Restaurantbesuchern, die gleichzeitig mit einer infizierten Person dort waren – liegt jetzt ein Protokollvorschlag vor, der ähnlich strengen Missbrauchsschutz wie DP3T bieten soll und auch aus denselben Köpfen stammt: CrowdNotifier.
- Wenig begeistert zeigt man sich in Singapur vom Exposure Notification Framework, auf das sich die meisten europäischen Apps stützen. Singapur hatte seine App TraceTogether bereits im Einsatz, als die Diskussion darum bei uns erst begann. TraceTogether basiert auf dem Ansatz, Gesundheitsbehörden bei der Kontaktverfolgung mit eigens gesammelten Informationen zu unterstützen. Ungefähr ein Drittel der Bevölkerung nutzt die App.
- Möglicherweise ist die Rückwärtsverfolgung von erkannten Fällen zur Ansteckungsquelle prinzipbedingt effektiver als die Vorwärtsverfolgung von Folgeansteckungen etwa durch die Corona-Warn-App oder auch durch Gesundheitsämter. Insbesondere kann man mit der Rückwärtsverfolgung Superspreading-Ereignisse identifizieren, die eine wichtige Rolle bei der Virusausbreitung spielen.
- Für die englische App NHS COVID-19 liegt seit Anfang Oktober ein Data Protection Impact Assessment (Datenschutzfolgeabschätzung) vor.
- Willkommen im Club: Mit Coronalert hat nun auch Belgien eine eigene Corona-App, die unserer verdächtig ähnlich sieht.
- Nicht mit einer App, sondern ganz klassisch über eine Website funktioniert ab November die digitale Einreiseanmeldung für alle, die aus Risikogebieten nach Deutschland einreisen.
- Wer zusätzlich oder alternativ zur Nutzung der Corona-Warn-App ein Kontakttagebuch führen möchte, kann dies mit der App Coronika tun, bis jetzt allerdings nur auf Android-Geräten.
- Neuerdings mischt auch die Gematik mit, die nicht mehr ganz junge Projektgesellschaft für die Vernetzung und Digitalisierung des Gesundheitswesens. Ihr Deutsches Elektronisches Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz soll die Meldung positiver Testergebnisse durch Testlabore an die Gesundheitsämter und das RKI unterstützen. Der Projektstatus bleibt unklar.
- Besser spät als nie: Falls die nächste Pandemie nicht vor 2025 über uns hereinbricht, sollen dann auch die Gesundheitsämter digitalisiert sein. Das RKI wünscht sich darüber hinaus fürs nächste Mal eine integrierte Seuchenapp.
- Zu guter Letzt hat die Protestbewegung Ende Gelände bereits im September demonstriert, wie sich Kontaktverfolgung unter Bedrohung mit Hilfe eines Treuhänders organisieren lässt.
Die nächste Zusammenfassung gibt es, wenn das Klopapier alle ist.
CoronApp-News 2020-09-27
Jetzt ist das Altweibersommerloch vorbei:
- Die Corona-Warn-App hat ihre ersten hundert Tage im Amt hinter sich. SAP und die Telekom als Hersteller und Betreiber ziehen naturgemäß eine positive Bilanz. Einen Erfahrungsbericht aus eigener Anschauung liefert die Politkerin Anke Domscheidt-Berg. Nutzungszahlen liegen nur als Schätzungen vor. Die Regierung appelliert an die Bevölkerung, die App im Herbst stärker zu nutzen, während Ärztevertreter an ihrer Wirksamkeit zweifeln und die fehlende Schnittstelle zur Arbeit der Gesundheitsämter bemängeln. Ein Paper aus der Schweiz sieht hingegen Hinweise darauf, dass die analog arbeitende SwissCovid die herkömmliche Kontaktverfolgung sinnvoll ergänzt und einen Nutzen hat. Andererseits hat man im Rhein-Kreis Neuss 36 Personen aufgrund von Benachrichtigungen über die App 36 Personen getestet – alle negativ. Ihren primären Zweck hat die Corona-Warn-App jedenfalls erfüllt: Datenpannen wurden keine bekannt. Dafür umso mehr technische Probleme: Diese Woche ist es das Update auf iOS 14, das die App lahmlegt.
- Mit NHS COVID-19 verfügen jetzt endlich auch England und Wales über eine App zur Kontakterfassung und -warnung. Zunächst war man dort einen eigenen Weg gegangen und hatte und eine unabhängig von Apples und Googles Exposure Notification Framework arbeitende App entwickelt, die Arbeit daran nach einem Feldtest jedoch eingestellt. Im zweiten Anlauf ist man nun dem europäischen Trend gefolgt. Anders als ihr deutsches Pendant NHS Covid-19 jedoch nicht auf maximalen Datenschutz getrimmt, sondern auf maximalen Nutzen: Sie beinhaltet neben der Kontakterfassung per Bluetooth und der darauf gestützten Benachrichtigungsmöglichkeit auch Funktionen zum Venue-Check-In per Barcode, einen Quarantäne-Countdown, eine Risikoanzeige nach Postleitzahl, einen Symptommelder sowie die Möglichkeit, einen Coronavirustest anzufordern.
- Ein Virtual Workshop on Privacy Aspects of Contact Tracing findet am Freitag, dem 2. Oktober im Internet statt.
- Zu guter Letzt ist pünktlich zur zweiten Welle auch der Bundeshackathon #WirVsVirus fertig und hat ganz viele Ergebnisse hervorgebracht. Wer sonst nichts zu tun hat, kann sie sich am Donnerstag, dem 1. Okober ganztägig im Internet präsentieren lassen.
Wie letzte Woche schon angekündigt gibt’s die nächste Zusammenfassung voraussichtlich erst Ende Oktober und dann für den ganzen Monat.
CoronApp-News 2020-09-20
Anscheinend entwickelt sich gerade ein nachhaltiges Desinteresse an der Corona-Warn-App. Das ZDF und Spiegel Online (Paywall) fassen zusammen, wo es hakt: Gesundheitsämter finden die App nicht hilfreich, Nutzerzahlen kennt die Öffentlichkeit nicht und der Nutzen bleibt erst recht unklar. In Simulationsstudien genügen bereits relativ geringe Nutzerzahlen für einen Effekt, in der Realität weiß man’s nicht genau. Unterdessen nähert sich das europäische Interoperabiliätsgateway seiner Fertigstellung.
Falls die Nachrichtenlage so dünn bleibt, dürfte in Zukunft eine monatliche Zusammenfassung genügen.
PS (2020-09-21): Googles Trendgraph zum Stichwort Corona-Warn-App lässt keine Zweifel. An der Börse ginge das nicht mal als Tannenbaum-Chart durch, solche Peaks zeigen sich eher beim Zocken mit Pennystocks. Selbst Peak Blockchain hat eine breitere Basis:
CoronApp-News 2020-09-13
Diese Woche gibt es wenig zu melden:
- Seit Ende August hat auch Finnland eine eigene Corona-App mit dem schönen Namen Koronavilkku. Die Akzeptanz ist groß, nach wenigen Tagen hatte bereits ein Viertel der Finnen die App installiert. Den Finnen gleich tut es Schottland mit Protect Scotland, nachdem der Versuch einer UK-weiten Entwicklung scheiterte.
- Welche tatsächlichen Nutzerzahlen sich hinter gemeldeten Downloads und Installationen verbergen. bleibt indes unklar.
- Technische Probleme gibt es diese Woche mit iOS 13.7. Sie können dazu führen, dass Nutzern der App ein höheres Risiko angezeigt wird.
- Für Spielkinder gibt es jetzt eine Implementierung des Exposure Notification Frameworks und der Funktionen der kanadischen Corona-App für Linux.
Das war’s schon.
CoronApp-News 2020-08-30
Diese Woche war wenig los.
- In einem Monat, Ende September, soll die europäische Vernetzung der geeigneten nationalen Apps stehen.
- Das Exposure Notification Framework, auf das sich viele Kontaktbenachrichtigungsapps stützten, wird selbständiger. War bereits bisher die Kontakterfassung eine Funktion des Betriebssystems, so soll künftig auch der Empfang von Warnungen ohne besondere App möglich werden. Nur zum Auslösen einer Warnung nach einem positiven Test benötigt man dann noch eine offizielle App.
- Die New Yorker Generalstaatsanwältin macht sich unterdessen Sorgen um den Datenschutz und fordert von Apple und Google, alternative Kontaktverfolgungsapps an die kurze Leine zu nehmen, die in den Appstores angeboten werden. Anders als bei offiziellen Apps der Gesundheitsbehörden auf der Grundlage des Exposure Notification Frameworks, von denen es nur eine pro Land geben kann, sei bei unabhängigen Apps auf anderer Basis der Datenschutz nicht immer gewährleistet.
- Nicht direkt eine App, aber immerhin digital: Reiserückkehrer aus Risikogebieten sollen sich künftig auf einer Website registrieren können.
- Zu guter Letzt war die Kontaktverfolgung in Restaurants usw. auch diese Woche wieder für Nachrichten gut. Im Saarland ist die bisher geltende Regelung verfassungswidrig und Hacker haben eine Cloudanwendung eines Gastronomie-Dienstleisters gehackt, die neben einigen Millionen Reservierungen auch eine hohe fünfstellige Zahl von Corona-Kontaktdatensätzen aus 180 Restaurants enthielt.
CoronApp-News (2020-08-23)
Der Sommer neigt sich dem Ende zu und langsam könnte eine Corona-Warn-App ihren Nutzen beweisen, aber anscheinend glaubt kaum noch jemand daran:
- Die Downloadzahlen der Corona-Warn-App stagnieren bei ca. 17 Millionen. Beim daraus resultierenden Verbreitungsgrad kann die App höchstens einen einstelligen Prozentsatz der Risikobegegnungen erkennen, denn dafür müssen beide Beteiligte die App verwenden. Dazu kommen noch Probleme beim Testen und der Übermittlung von Testergebnissen, die rechtzeitige Warnungen erschweren können. Die App-Infrastruktur käme mit höheren Nutzerzahlen zurecht, sie ist vorerst auf 25 Millionen Nutzer ausgelegt und ließe sich vermutlich leicht auf mehr skalieren.
- Einen weiteren Dauerbrenner der Corona-Warn-App-Kritik bildet die Verständlichkeit der Benutzerführung und der Warnmeldungen. Auch die Zuverlässigkeit der Kontakterkennung und Risikobewertung mittels Bluetooth bleibt umstritten. Wenig Angst muss man hingegen davor haben, über die aktivierte Bluetooth-Schnittstelle angegriffen zu werden.
- Ohne App funktioniert die Kontaktverfolgung auch nicht unbedingt besser. In England, wo man sein App-Projekt zurückgestellt und eilig Arbeitskräfte für die herkömmliche Kontaktverfolgung angeheuert hat, wird nur gut die Hälfte der Kontaktpersonen ermittelt. An Überlastung der Kontaktverfolger liegt das jedoch nicht.
- In einem zweiteiligen Podcast sprechen , Ian Sample, Carly Kind und Seeta Peña Gangadharan über Contact-Tracing-Apps und die von ihnen aufgeworfenen Fragen.
- Die niederländische Datenschutzaufsicht vermisst anscheinend wirksame Vereinbarungen mit Apple und Google und rät vorerst davon ab, Apps auf der Grundlage des Exposure Notification Frameworks zu verwenden.
- Zu guter Letzt erlaubt ein norddeutscher Campingplatz den Zutritt nur mit Corona-Warn-App. Ist das die Überwachungsdiktatur, vor der uns Datenschutzaktivisten immer gewarnt haben? Dagegen verhallt die regelmäßig erhobene Forderung, die Erfassung von Restaurantbesuchen in der Corona-Warn-App zu unterstützen, weiter ungehört.
Nicht gehört habe ich in den letzten Tagen von den Bemühungen um eine europaweite Integration der nationalen Corona-Apps. Weiß man, wie es darum steht?
Kulturwandel
Vorher:
Nachher:
CoronApp-News (2020-08-16)
In Sachen Corona-App drehen wir uns zunehmend im Kreis:
- Die Downloadzahlen der Corona-Warn-App steigen nicht mehr nennenswert, sie lagen Anfang August bei 16,6 Millionen. Bis dahin hat die Hotline gut 1000 TANs für Benachrichtigungen herausgegeben.Wie viele davon tatsächlich verwendet wurden, weiß niemand. In der Schweiz bleibt ein Drittel der ausgegebenen Codes ungenutzt. Benachrichtigungen durch die App erfolgen jedenfalls selten genug, um Nachrichtenwert zu haben.
- Damit Infizierte via App ihre Kontakte warnen können, müssen sie erst einmal von ihrer Infektion wissen und ein positives Testergebnis vorweisen. An diesem Punkt können Warn-Apps ohne eigenes Zutun scheitern. Neben Bayern mit seiner mittelgroßen Überrmittlungspanne hat dies auch Kalifornien aufgrund eines abgelaufenen TLS-Zertifikats demonstriert. Derweil gibt das Gesundheitsamt Trier dem ZDF Einblicke in seine Arbeit mit altmodischen Faxgeräten und die daraus resultierenden Probleme.
- Sächsische Firmen wollen für Menschen ohne Smartphone einen zur Warn-App kompatiblen Corona-Warn-Buzzer entwickeln.
- Den Datenschutz stellen Covid-19 und die Gegenmaßnahmen auf vielfältig interessante Weise auf den Prüfstand. Lukas Mäder wundert sich in der NZZ zu Recht darüber, dass Restaurants ihren Gästen die App-Nutzung vorschreiben dürfen, zugleich jedoch deren Kontaktdaten erfassen müssen. Ebenso dürfe ein Arbeitgeber die App-Nutzung nicht kontrollieren, wohl aber Fieber messen. Und im Großen und Ganzen regt das alles niemanden auf. Werden wir eines Tages auf Covid-19 als Keimzelle eines realistischen, wirklich risikoorientierten Datenschutzes zurückblicken? Oder werden wir uns stattdessen daran gewöhnen, dass eine aus Sicht des Datenschutzes hochkritische App aus Datenschutzgründen leider, leider ohne Erfolgskontrolle auskommen muss?
- Zu guter Letzt erregen Gästelisten in Restaurants usw. weiter die Datenschutzgemüter. Gefühlt erscheint jede Woche eine neue App mit dem Versprechen, die ad hoc eingeführte Zettelwirtschaft zu ersetzen und zugleich den Datenschutz zu verbessern.
Auf in die nächste Runde!
CoronApp-News (2020-08-09)
Corona-Apps füllen das diesjährige Sommerloch ganz gut aus:
- Ein Kommentar von Patrick Bernau zeigt noch einmal die Nebenwirkungen des rigiden technischen Datenschutzes im Exposure Notification Framework und der darauf basierenden Corona-Warn-App auf. Zudem macht er auf eine interessante Begründung aufmerksam: Eine weltweit verbreitete Plattform müsse auch in Gegenden mit geringer ausgeprägter Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ohne Nebenwirkungen funktionieren. Apple und Google liefern uns als den technischen Datenschutz, den wir uns wünschen würden, lebten wir in einem Schurkenstaat.
- Die Zeitschrift Connect hat die Corona-Warn-App auf Sicherheitsmängel untersuchen lassen, ohne dass dabei nennenswerte Probleme aufgetaucht wären. SAP ist stolz wie Oskar.
- Unterdessen hakt es immer noch bei der Anbindung der Testlabore an die Infrastruktur der Corona-Warn-App. Anstelle des eigentlich vorgesehenen Verfahrens – beim Corona-Tets erhält man einen QR-Code, registriert damit seine App anonym als Empfänger für das Testergebnis und kann bei einem positiven unmittelbar eine Warnung an seine Kontaktpersonen auslösen – müssen App-Nutzer weiterhin häufig die Hotline bemühen, falls ihr Test positiv ausfällt und sie warnen möchten.
- Was die App am Ende bringt und wie oft sie falsch liegt, ist auch unabhängig davon noch nicht geklärt. Eine Statistikprofessorin hat ein Modell entwickelt, mit dem man online spielen kann, um die theoretische Maximalleistung unter verschiedenen Annahmen zu ermitteln. Dieses Modell geht davon aus, dass alle Beteiligten die App nutzen.
- Seit Anfang August hat auch Kanada eine App zur Kontaktverfolgung, COVID Alert.
- Zu guter Letzt schreit auch die Erfassung von Kontaktdaten in Restaurants etc. weiter nach einer guten Lösung. In Baden-Württemberg müssen Restaurantbesucher jetzt keine E-Mail-Adresse mehr angeben – die Gesundheitsämter dürfen ihnen aus Datenschutzgründen ohne Einwilligung keine unverschlüsselte E-Mail schicken und E-Mail verschlüsseln kann kein Mensch, weil es keiner braucht.
Schönen Montag!
CoronApp-News (2020-08-02)
Die Infektionszahlen steigen, die Aktienkurse sinken und mit den Corona-Apps geht es langsam voran:
- Nach der deutschen Corona-Warn-App sollen SAP und Telekom nun auch die europäische Plattform zur Vernetzung der nationalen Apps entwickeln. Miteinander verbunden werden sollen zunächst jene Apps, die auf das Exposure Notification Framework von Apple und Google setzen. Bluetooth-seitig sind sie ohnehin kompatibel, mit einem Update des Frameworks auch offiziell. Etwas bauen muss man jedoch noch für die Benachrichtigungen, die gegenwärtig nur national verarbeitet und versandt werden.
- Die dänische Corona-App hat nach einer Pressemitteilung des dortigen Gesundheitsminsiteriums bisher 48 Kontaktpersonen informiert, von denen 46 nicht durch die parallele Kontaktverfolgung der Gesundheitsbehörden identifiziert wurden. Das muss kein gutes Zeichen sein, sondern kann auch auf Defizite der herkömmlichen Kontaktverfolgung hinweisen. Ein neuer Bericht aus Südkorea vermittelt einen Eindruck davon, welchen Aufwand erfolgreiche Kontaktverfolger treiben müssen. Schafft das eine App wirklich besser?
- Serge Vaudenay beleuchtet die dunkle Seite von SwissCovid. Auch die App für die Schweiz setzt auf das Eposure Notification Framework der Smartphoneplattformen und wie überall ist nicht alles Gold, was glänzt. Die dünne Anforderungsanalyse rächt sich.
- Wie berichtet, setzt auch Großbritannien vorerst auf die manuelle Kontaktverfolgung, wenn auch mit weniger Erfolg. Schottland jedoch schert aus und möchte doch eine App entwickeln. Grundlage soll die irische App sein, welche auch in Nordirland bereits getestet wird.
- Zu guter Letzt nimmt die Digitalisierung manchmal auch überhand: Eine Reisende, die aus einem Risikogebiet am Flughafen Tegel eintraf, wollte sich dort testen lassen. Ihr Versuch scheiterte jedoch am fehlenden Smartphone, denn nur damit kann man sich dort für den Test anmelden und später das Ergebnis erfahren.
Habt Ihr alle Eure Klopapiervorräte aufgestockt?
CoronApp-News (2020-07-19)
Neue Regierungen bekommen hundert Tage Zeit, neue Apps nur vier Wochen:
- Einen Monat nach ihrem Start zieht das RKI eine positive Zwischenbilanz und meldet knapp 16 Millionen Downloads. Wie viele Menschen die App tatsächlich benutzen, bleibt unklar. Etwa 500 positiv Getestete hatten bisher die Möglichkeit, eine Warnung ihrer Kontakte auszulösen. Wie viele Warnungen an wie viele Kontaktpersonen tatsächlich verschickt wurden, weiß man jedoch nicht.
- Die Entwicklungsarbeit an der Corona-Warn-App geht weiter. Neben Fehlern und den zugangsbeschränkenden Systemanforderungen der App – neben alten Smartphones bereitet auch das neueste iOS 14 Probleme – bleibt die Anbindung der Testlabore kritisch. Als Folge davon wurde noch kein einziger Corona-Test auf dem eigentlich vorgesehenen Weg per QR-Code in der App registriert. Die alternativen Meldewege führen zu Verzögerungen.
- Zweifel gibt es weiter an der Verlässlichkeit der Bluetooth-Entfernungsmessung, die in die Risikobewertung von Kontakten einfließt. Auch funktionale Fragen tauchen immer wieder auf.
- Auf sich warten lässt die EU-weite Integration der nationalen Warn-Apps. Auf der Smartphone- und Bluetooth-Seite gibt es wenig Integratioshindernisse zwischen jenen Apps, die ich auf das Exposure Notification Framework von Apple und Google stützen, doch die Vernetzung der Backends braucht offenbar etwas länger.
- Langsam dämmert auch den Letzten, dass sich die Bundesregierung im April nicht so sehr für eine datenschutzfreundliche dezentrale Architektur entschieden hat, sondern tatsächlich wohl vor allem für das Framework von Apple und Google. Pragmatisch war das unter den gegebenen Umständen nahezu alternativlos, aber es handelt sich eben nicht um eine freie, souveräne Architekturentscheidung.
- Zu guter Letzt bleibt jenseits der Coron-Warn-App das Thema Kontaktdatenerfassung in Restaurants etc. auf der Tagesordnung. Einige sind überrascht davon, dass in einigen Fällen die Polizei die gesammelten Daten für Ermittlungen nutzt, aber das ist wahrscheinlich erlaubt. Auf eine Erweiterung der Corona-Warn-App zur Erfassung solcher Besuche warten wir hingegen vergebens, ebenso auf einen flächendeckenden digitalen Ersatz für manuell ausgefüllte Formulare.
Bis nächstes Wochenende.
CoronApp-News (2020-07-12)
Eigentlich könnten wir uns in Sachen Corona-App zurücklehnen und abwarten, aber die Debatten gehen weiter:
- Die Corona-Warn-App kam mit einigen Kinderkrankheiten auf die Welt, die jetzt nach und nach beseitigt werden. Laut Bitkom wollen 28 Millionen diese App dauerhaft nutzen; bis jetzt gab es allerdings nur 15,4 Millionen Downloads. Mit der Entwicklung und Weiterentwicklung der App beschäftigt sich der Podcast von Mac & i.
- Das Ada Lovelace Institute hat sich mit der Frage beschäftigt, wovon die Akzeptanz solcher Lösungen die der Corona-Benachrichtiguns-Apps abhängt. Im Gegensatz zur unsäglichen Zentral-vs-dezentral-Diskussion sieht der Bericht die Komplexität des soziotechnischen Geschehens.
- Auch in der Schweiz zeigt sich, dass die Gleichsetzung von strengem Datenschutz und Nutzervertrauen zu simpel war: Mehr als die Hälfte der Schweizer möchte die dortige App nicht installieren. Als Grund werden insbesondere Datenschutzbedenken angeführt, auch von Menschen, die mit WhatsApp und Facebook keine Probleme haben.
- Bereits als die Bundesregierung noch auf PEPP-PT setzte, beschäftigte sich das BSI mit der Sicherheit des Konzepts. Die Ergebnisse bleiben jedoch unter Verschluss, da man nicht ausschließen könne, bei einer Veröffentlichung die Rechte Dritter zu verletzen. Das ist schade.
- Irland hat jetzt auch eine Kontaktpersonenbenachrichtigungsapp. Die Niederlande arbeiten noch an ihrer. Eine umfassende Übersicht der internationalen Corona-Apps pflegt das Ada Lovelace Institute als lebendes Dokument. Die New York Times fasst zusammen, welche Probleme bis jetzt in diesem Zusammenhang aufgetreten sind.
- Die Erfassung von Kontaktdaten in Restaurants erregt weiter die Gemüter. Alleine in Niedersachsen gibt es dazu bereits 60 Datenschutz-Beschwerden. Derweil nutzte die Hamburger Polizei die Besucherliste eine Restaurants, um nach Zeugen einer Straftat zu suchen, und wahrscheinlich darf sie das sogar.
- Ein längerer Audiobeitrag des Senders Deutschlandfunk Nova befasst sich mit dem Schutz von Gesundheitsdaten in der langsam verblassenden Krise.
- Zu guter Letzt hat ein AfD-Politiker eine „Späher-App“ auf den Markt gebracht, die aktive Corona-Warn-Apps in der Umgebung erkennt und zählt. Alle mit Ahnung fragen sich, was das soll.
Voraussichtlich wird es auch nächste Woche wieder Neues zu melden geben.
CoronApp-News (2020-06-28)
Der Wochenrückblick, wie immer nicht nach Erscheinungsdatum, sonder danach, wann ich über die Links gestolpert bin:
- Die Aufregung um die Corona-Warn-App hat sich etwas gelegt. Die App wurde bis vorgestern mehr als 13 Millionen Mal heruntergeladen und ihre Nutzung wird in der Öffentlichkeit so wenig kontrolliert wie die Maskenpflicht im ICE. Die ersten Benachrichtigungen über die App gingen diese Woche raus. Unterdessen füllen sich das Backlog und die Ideensammlung für die Weiterentwicklung.
- Nachdem der Leiter eines Berliner Gesundheitsamtes die App in der Vorwoche ein Spielzeug für die digitale Oberklasse genannt hatte, machte diese Woche die Nachricht die Runde, überproportional viele der anfänglichen Downloads gingen auf iPhone-Nutzer zurück. Als Ergänzung zur App werden verschiedentlich preisgünstige unabhängige Geräte diskutiert, mit denen Menschen ohne passendes Smartphone an der Kontaktverfolgung teilnehmen könne sollen.
- Probleme bereitet die Warn-App der Bundesregierung ausgerechnet auf Dienstsmartphones einiger Ministerien. Teils liegt es an deren Alter, teils daran, dass Bluetooth aus Sicherheitsgründen abgeschaltet ist.
- Im Ausland gilt Deutschland auf einmal als Digitalisierungsvorbild. Verglichen mit dem britischen Fiasko ist schon die Veröffentlichung einer funktionierenden App eine Glanzleistung. Alleine sind wir damit nicht: Indien meldet 131 Millionen Downloads seiner bereits länger verfügbaren App; die Schweiz und Dänemark haben ihre Apps auch fertig.
- Die Diskussion „zentral vs. dezentral“ ist lange vergessen. Das Magazin Republik erzählt die Geschichte des Streits noch einmal von Anfang bis Ende. Dabei erfahren wir, dass DP3T inzwischen von Datenschutzextremisten im Elfenbeinturm ähnlich heftig angegriffen wird wie eins PEPP-PT.
- Der Datenschutz-Podcast der c’t befasst sich in Folge 16 mit der Datenschutz-Folgenabschätzung zur Corona-Warn-App. Wer mehr über die Entwicklung der App erfahren möchte, kann sich den UKW-Podcast zum Thema anhören.
- Zu guter Letzt ist die Idee vom Tisch, Strandplätze per App zu reservieren. Stattdessen möchte man jetzt die Auslastung mit Sensoren messen und Strandabschnitte ggf. per Ampel sperren.
Das war’s für diese Woche.
CoronApp-News (2020-06-21)
Habemus Appam! Vielleicht genau zur rechten Zeit, denn die Fallzahlen steigen wieder.
Wie angekündigt ist die Corona-Warn-App seit Dienstag verfügbar und wurde nach Angaben des RKI bis gestern mehr als zehn Millionen Mal heruntergeladen. Falls sie danach auch von allen aktiviert wurde, entspricht das einem Verbreitungsgrad von 13%, womit jeder 65. zufällige Kontakt erkannt werden könnte. Den Datenverkehr der App wollen die Mobilfunk-Provider kostenlos spendieren. Wie man die App aktiviert und benutzt, erklärt unter anderem Heise Online. Eine Datenschutzfolgenabschätzung wurde kurz vor der App selbst veröffentlicht.
Die Bundesregierung ist stolz wie Oskar, weil die Entwicklung seit der Entscheidung für Apple, Google, SAP und Telekom ziemlich gut funktioniert hat, und das Projekt wird auch von anderen gelobt. Jedoch verstummt die Kritik nicht ganz. Der Verein Digitalcourage hält die App für ein Plazebo mit Nebenwirkungen, das Twitter-Echo darauf fiel jedoch eher negativ aus. Der Chef des VZBV empfiehlt die App, warnt jedoch noch einmal vor App-gestützten Einlasskontrollen. Diese Befürchtung wurde zum Release vielfach geäußert, hat sich bislang jedoch offenbar kaum bewahrheitet. Alvar Penning, Jonas Höchst und Bernd Freisleben kritisieren die relative Offenheit der Entwicklung als halbseiden, da ein wichtiges Teilsystem von Apple und Google bereitgestellt werde und eben nicht offen sei. So ganz Made in Germany ist die App eben doch nicht und anderswo fühlt man sich gar von Apple und Google bevormundet.
Wie sehr wir uns vor der Corona-Warn-App fürchten und warum, untersucht der Der Lehrstuhl Sozialpsychologie: Medien und Kommunikation der Universität Duisburg-Essen mit einer Umfrage.
Die App-Entwicklung ging manchen zu langsam und verlief anfangs holprig, wenn nicht gar als Drama mit entgleister Debattenkultur. Im Vergleich zu anderen öffentlichen IT-Projekten erscheint der Weg zu App dennoch recht reibunglos. Allerdings blieb sich auch die Komplexität vergleichsweise gering, nachdem die Smartphone-Plattformen den Lösungsweg und zentrale Komponenten vorgegeben hatten.
Einige Probleme gibt es dennoch. So klagen die Gesundheitsämter seit dem Start der App über unzählige Anrufe verwirrter Nutzerinnen und Nutzer. Auch im Hintergrund läuft noch nicht alles rund, denn viele Testlabore und Gesundheitsämter müssen erst noch angebunden werden, um App-Nutzern direkt Testergebnisse übermitteln zu können. Hier macht sich der Digitalisierungsstau im Gesundheitswesen und in der Verwaltung bemerkbar.
Auch sonst ist die Entwicklung der Corona-Warn-App noch lange nicht abgeschlossen. Neben Meldungen über Fehler und Unzulänglichkeiten sammeln die Entwickler auch Ideen für weitere Funktionen und zeigen ihre – noch recht knappen – Pläne für künftige Verbesserungen. Auch die europaweite Integration der nationalen Lösungen steht noch aus und wird einige Schwierigkeiten mit sich bringen.
International steht Deutschland plötzlich als leuchtendes Beispiel da. Fast zeitgleich mit dem Start hierzulande musste Norwegen seine schon länger bereitstehende App Smittestopp wegen Datenschutzbedenken auf Eis legen. Amnesty International hielt die norwegische App für eine der gefährlichsten weltweit und stellte sie in eine Reihe mit denen aus Bahrain und Kuwait. Das brexitanische App-Projekt versinkt unterdessen im Chaos und verschiebt seinen Release-Termin auf den nächsten Winter. Nachdem eine von Apples und Googles Exposure Notification Framework unabhängige Lösung bereits im Testbetrieb war, setzt man nun doch auf die Plattform-Lösung und stuft zugleich die Priorität der App herab. Die französiche App StopCovid, die ebenfalls ohne das Framework auskommt, scheint eher ein Flop zu werden.
Zu guter Letzt hat der Chef eines mittelständischen Betriebs in Köln so viel Angst vor der App, dass er sie seinen Beschäftigten rundweg verbietet.
In der Doppelbotschaft verheddert
Wer WhatsApp oder Facebook nutze, könne bedenkenlos auch die Corona-Warn-App installieren, tönt es durchs Netz – das stimmt zwar vielleicht trotz der Bedenken um Einlasskontrollen, ist aber dennoch kein gutes Argument.
Einige Schlaumeier erklären uns gerade, wer WhatsApp et al. nutze, könne getrost auch die Corona-Warn-App installieren oder wer angesichts der Corona-Warn-App Überwachungsangst verspüre, müsse konsequenterweise auch auf WhatsApp et al. verzichten. Hier zum Beispiel:
und da und dort. Das ist nett gemeint, führt jedoch nicht weit, denn es handelt sich um eine widersprüchliche Doppelbotschaft. Ihre Adressaten sollen entweder die Harmlosigkeit der Corona-Warn-App anerkennen und dann auch WhatsApp benutzen dürfen, oder sie sollen die Gefährlichkeit von WhatsApp anerkennen und dann auf beide verzichten. Unausgesprochen, weil sie nicht so gut ins Argument passt, bleibt die Option, die Corona-Warn-App zu nutzen, WhatsApp jedoch nicht.
Formallogisch scheint zunächst alles in Ordnung. Es handelt sich um die Implikation: „wenn WhatsApp dann Corona-Warn-App“. Widersprüche tun sich erst beim Versuch auf, den so als falsch deklarierten Fall zu rechtfertigen, dass jemand WhatsApp nutzt, aber die Corona-Warn-App ablehnt. Das geht, aber man muss dazu diese Implikation zurückweisen. Mehrere Möglichkeiten bieten sich an.
Man könnte trotzig antworten, man wolle halt das eine und das andere nicht. Dabei stünde man immerhin mit beiden Beinen fest auf dem Boden der informationellen Selbstbestimmung, die genau diese Entscheidungsfreiheit gewährt und keine Begründung verlangt. Gehört man selbst nicht zur Gruppe derjenigen, die WhatsApp nutzen, aber die Corona-Warn-App ablehnen, könnte man auch mit der empirisch-statistischen Frage antworten, ob die angesprochene Gruppe überhaupt in einem nennenswerten Umfang existiere. Möglicherweise sind die meisten Aluhutträger tatsächlich so konsequent, auch einen anderen Messenger als WhatsApp einzusetzen, oder tragen ihren Aluhut erst, seit sie Telegram für sich entdeckt haben.
Man könnte auch analytisch antworten, die Verengung auf das Merkmal Datenschutz sei unangemessen, In Wirklichkeit handele es sich um eine mehrdimensionale Kosten-Nutzen- und Risiko-Nutzen-Abwägung, welche in diesem Fall so und in jenem anders ausfalle. Schließlich verspricht WhatsApp einen erheblichen persönlichen Vorteil, während der Nutzen der Corona-Warn-App vorwiegend als externer Effekt in der Gesellschaft eintritt.
Wer dezente Gemeinheit nicht scheut, kann zu guter Letzt auch sein Gegenüber im eigenen Argument einwickeln: Man habe jetzt jahrelang immer wieder die Gefahren von WhatsApp gepredigt, ohne dass viel passiert sein – wo solle nun die Glaubwürdigkeit herkommen, zumal man über die Corona-Warn-App auch noch das genaue Gegenteil sage? Oder anders verpackt in Abwandlung des gestrigen Tagesthemen-Kommentars:
„Diejenigen, die die App kategorisch empfehlen, weil sie zu Recht keine Gefahren befürchten, sollten bitte auch mal kurz prüfen, ob sie WhatsApp oder Facebook ablehnen.“
Wendet das Gegenüber daraufhin ein, dies sei doch etwas völlig anderes, nickt man nur noch andächtig und sagt: „Genau.“ Wer mag, kann noch einen Treffer landen mit der Frage, wieso angesichts der Corona-Warn-App jetzt auf einmal die Gefahr und die (Un-)Zulässigkeit von Einlasskontrollen anhand der App diskutiert werde, während WhatsApp über ein Jahrzehnt nie jemanden auf diese Idee gebracht habe.
Nein, dass jemand WhatsApp nutzt, ist kein gutes Argument dafür, auch die Corona-Warn-App zu nutzen. Dass viele Menschen WhatsApp nutzen, ohne sich große Sorgen zu machen und wohl auch, ohne objektive Nachteile aufgrund mangelnden Datenschutzes zu erleiden oder zu verursachen, sollte uns hingegen Anlass sein, unser Verständnis und unsere Prioritäten nachzujustieren. WhatsApp und andere zeigen, dass Erfolg auch gegen die Kritik der Datenschützer möglich ist. Die Corona-Warn-App wird uns zeigen, wo die Grenzen mit dem Segen der Datenschützer liegen. Statt Populismus zu betreiben, sollten wir uns mehr mit den tatsächlichen, vieldimensionalen Erfolgsvoraussetzungen von Anwendungen beschäftigen und mit den Gestaltungsprozessen, die Anforderungen erkunden, abwägen und umsetzen.
Gefühlte Bedrohung
Pünktlich zum Start der Corona-Warn-App meldet sich der Vorstand des VZBV und warnt davor, „dass Restaurants, Geschäfte oder Flughäfen die Freiwilligkeit der App faktisch aushöhlen, indem sie nur App-Nutzern Zutritt gewähren“. Er hält diese Gefahr für real, doch das ist sie nicht.
Die App-Nutzung zu kontrollieren und daraufhin Kundinnen den Zutritt zu verweigern, ergibt nämlich für Unternehmen keinen Sinn. Solche Kontrollen kosteten doppelt Geld, einmal für die Arbeitszeit der Kontrolleure und einmal in Form verlorener Umsätze der abgewiesenen Kunden. Dem steht kein messbarer Nutzen des Unternehmens gegenüber. Selbst wenn man rein hypothetisch annähme, bei Infektionsfällen im Unternehmen drohe eine vorübergehende Betriebsschließung, bliebe dieses Risiko gering. Zum einen bleiben die Infektionszahlen und damit auch das mittlere Ansteckungsrisiko gering. Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zielen darauf, diesen Zustand zu erhalten. Zum anderen ist bei größeren Unternehmen auch ein Betrieb nicht dasselbe wie das Unternehmen, ein Supermarkt keine Supermarktkette. Doch schon bei Kleinunternehmen stellt sich die Frage: Was hätten etwa die darbenden Gastronomen davon, noch zusätzlich Gäste abzuweisen?
Realistischer erscheinen Kontrollen dort, wo Kontrollen ohne besonderen Aufwand praktikabel sind und Zutrittsbeschränkungen keinen Einfluss aufs Geschäft haben. Dies gilt zum Beispiel für Besuche in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Auch hier stellt sich jedoch die Frage nach dem Nutzen. Das bloße Vorhandensein der App auf einem Smartphone sagt wenig aus und selbst der Warnstatus filtert nur diejenigen heraus, die unterwegs gewarnt wurden und es noch nicht bemerkt haben.
Eigentlich gehört das Kontrollszenario auch gar nicht zur Corona-Warn-App, sondern zu den zeitweise diskutierten Immunitätsnachweisen. Dort gehört die Kontrolle zum Konzept, sonst sind sie nutzlos, und die Frage ist berechtigt, unter welchen Bedingungen man sie ausnahmsweise zulassen möchte. Dies ist jedoch kein App-Problem.
CoronApp-News (2020-06-14)
Zweimal werden wir noch wach …
- Die Corona-Warn-App soll ab Dienstag nutzbar sein. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hält sie für solide, der TÜV für stabil und sicher (ähm*) und Fabian A. Scherschel ist für Heise Online beeindruckt. Kanzleramtschef Braun meint rückblickend, man hätte die Entwickler ein paar Tage früher beauftragen sollen; die auch zeitliche Abhängigkeit von Apple und Google hätte das freilich nicht beseitigt. Die Entwicklung kostet 20 Millionen Euro, umgerechnet etwa zwei Kilometer Autobahn in einfachem Gelände, und soll auch nach dem Veröffentlichungstermin weitergehen. Als – überwindbares – Hindernis erweist sich die bisher schleppend verlaufene Vernetzung des Gesundheitswesens.
- Alexander Roßnagel hält den Datenschutz der Corona-Warn-App für beispielgebend, fordert aber dennoch weiter ein Gesetz zur Regelung jener Fragen, die sich jenseits des Datenschutz-Horizonts aufdrängen. Ein Teilproblem hat das Bundesgesundheitsministerium mittlerweile per Verordnung gelöst: Anspruch auf einen kostenlosen Test hat man jetzt auch nach einer Warnung durch die App und schon bevor Symptome auftreten.
- Nach einer nicht repräsentativen Twitter-Umfrage von Malte Engeler würde jeweils etwa ein Drittel der Befragten die Corona-Warn-App auch ohne Begleitgesetz, nur mit Begleitgesetz beziehungsweise auf gar keinen Fall installieren.
- Seit April verbreitet sich das Mem, wenigstens 60% der Bevölkerung müssten eine App zur Kontaktverfolgung nutzen, damit sie einen Nutzen habe. Dem widersprechen nun die Autoren der Studie, auf die diese Angabe zurückgeht. Auch bei geringeren Akzaptanzraten sei die Kontaktverfolgung per App nützlich, die Angabe 60% habe ein Eigenleben als Mem entwickelt.
- In Nordrhein-Westfalen können nach Angaben des WDR drei Millionen Menschen die Corona-Warn-App nicht nutzen, das ist ein Sechstel der Bevölkerung.
- Das Schweizer Parlament hat eine Rechtsgrundlage für den Einsatz der dortigen App geschaffen. Die App selbst lässt noch auf sich warten, sie soll Ende des Monats zur Verfügung stehen.
- Die französische App StopCovid fand in den ersten vier Tagen nach ihrer Veröffentlichung eine Million Nutzer.
- Unterdessen meldet die FAZ eine „Sicherheitslücke bei Corona-Apps“, die sich bei näherer Betrachtung jedoch anscheinend als lange bekannt und wenig dramatisch entpuppt.
- Die Briten brauchen mit ihrer App etwas länger als geplant und testen gerade eine zweite Version.
- Eine ganz andere Form der Kontaktverfolgung demonstriert El País und rekonstruiert minutiös drei Virusverbreitungsereignisse in einem Großraumbüro, einem Restaurant sowie in einem Reisebus.
- Für die Erfassung von Kontaktdaten in Restaurants bietet das amerikanische Unternehmen 360 Virtual Experts eine Lösung, bei der die Gäste keine App installieren müssen. Stattdessen werden sie per QR-Code auf eine Website geschickt, wo sie ihre Daten eintragen können. So ähnlich soll wohl darfichrein.de funktionieren, aber das wird weder aus der Website noch aus der Demo so recht klar. Fertiger wirkt Miss Racoon aus dem Taunus.
*) Den TÜV gibt es gar nicht und das mit dem Damm in Brasilien war ein anderer.
CoronApp-News (2020-06-06)
Die Corona-App-Nachrichten der Woche:
- Die Entwicklung der deutschen Corona-Warn-App schreitet unaufhaltsam voran. Unter anderem haben die Entwickler vor einigen Tagen ihr Sicherheitskonzept in Stichpunkten skizziert. In den GitHub-Repositories des Projekts lässt sich der Fortschritt verfolgen. Die Meldung, bereits 65.000 Softwareentwickler hätten sich bereits die Quelltexte angesehen und Verbesserungsvorschläge gemacht, stützt sich allerdings auf eine sehr großzügige Zählung. Mit der Corona-Warn-App und ihrer Entwicklung beschäftigt sich heute die Sendung Forschung aktuell – Computer und Kommunikation des Deutschlandfunks.
- Nutzen würden die App nach einer aktuellen Telefonumfrage 42% der Deutschen, nicht nutzen mit 39% fast ebenso viele, zu einem guten Teil trotz aller Bemühungen wegen aufgrund von Datenschutzbedenken und Überwachungsangst. Die übrigen 16% besitzen kein Smartphone. Zum Vergleich: 67% würden sich und 64% ihre Kinder sicher oder wahrscheinlich gegen das Coronavirus impfen lassen und das ist wenig genug für den vorletzten Platz unter den G7-Staaten.
- Wie nützlich die Corona-Warn-App mit ihrem spezifischen Ansatz am Ende sein wird, weiß noch niemand. Mit Apps in anderen Ländern und ihren Grenzen beschäftigt sich diese Woche Die Zeit. Neben Konzept, Technik und Nutzerzahlen beeinflussen auch Faktoren außerhalb der App die Erfolgsaussichten: Möglicherweise wird ein Fünftel der Infizierten bei Tests nicht erkannt.
- Die WHO hat unterdessen ein vorläufiges Papier zu ethischen Fragen beim Einsatz digitaler Kontaktverfolgung herausgegeben. Darin betont sie unter anderem, dass die digitale Kontaktverfolgung die herkömmliche durch die Gesundheitsbehörden nicht ersetzen, sondern nur ergänzen kann, und dass sie gut in das Gesamtkonzept der Pandemiebekämpfung integriert werden muss.
- Nach ihrem aktuellen Konzept arbeitet die Corona-Warn-App weitgehend losgelöst von anderen Prozessen, lediglich die Übermittlung von Testergebnissen wird zum Schutz vor frei erfundenen Warnungen an die App angebunden. Anders als die herkömmliche Kontaktverfolgung kann die Corona-Warn-App deshalb keine Gruppeninfektionsereignisse wie vor kurzem in Göttingen identifizieren. Im Corona-Tracing-Blog des Forums Privatheit überlegen Barbara Ferrarese und Alexander Roßnagel, welche funktionalen und rechtlichen Anpassungen nötig wären, um mit automatischer Kontaktverfolgung Infektionscluster zu erkennen und zu bekämpfen. In Göttingen sehen sich derweil Betroffene zu Unrecht an den Pranger gestellt.
- Die Forderung nach einer spezifischen Rechtsgrundlage für den Einsatz der Corona-Warn-App steht weiter im Raum.
- Ein unerwartetes Problem zeigt sich in Großbritannien: Dort sieht die Polizei in der Kontaktverfolgung Risiken für ihre Beamten und ihre Arbeit. Man befürchtet Gefährdungen zum Beispiel für verdeckte Ermittler oder Zeugenschutzprogramme.
- Zu guter Letzt müssen die Kontaktdaten von Kneipen- und Restaurantbesuchern nicht mehr in Listen oder Formularen erfasst werden: Die App Recover erlaubt stattdessen das bequeme Ein- und Auschecken per Smartphone und ist zumindest in Nordrhein-Westfalen offziell erlaubt.
Bis nächste Woche.
Nachtrag:
- Die Gemeinde Scharbeutz an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste entwickelt zurzeit eine App, die überfüllte Strände mit einem Reservierungssystem für Strandbesuche vermeiden soll.
Gamifizierter Narzissmus
Mit der Industrialisierung entstanden Massenmedien. Bevor sie um die Gunst ihrer Leser, Hörer oder Zuschauer konkurrieren konnten, mussten sie sich erst einen der knappen Kanäle sichern. Teils hatte das technische Gründe, wie bei Funk und Fernsehen, teils wirtschaftliche, denn das Herausgeben einer Zeitung wie auch der Betrieb einer Rundfunk- oder Fernsehanstalt erfordern Kapital und deshalb einen Mindestumsatz pro Zeiteinheit.
Das Internet hat uns Jedermannmedien wie Twitter, Facebook oder Telegram gegeben. Dort kann jeder an alle senden, die ihm zuhören wollen. Begrenzt ist nur noch die Aufmerksamkeit des Publikums, um die sich alle balgen. Geld verdient dabei zunächst nur die Plattform, und zwar umso mehr, je mehr Aufmerksamkeit sie insgesamt binden kann. Dies gilt für die Werbung, die sich ein Stück vom Kuchen der Aufmerksamkeit abschneidet, ebenso wie für das Risikokapital, das sich eine Zeitlang mit schnell wachsenden Metriken als Gegenleistung begnügt.
Einige Plattformen, allen voran YouTube, geben einen Teil ihrer Einnahmen an ihre Sender weiter und nähern sich damit teilweise herkömmlichen werbefinanzierten Medien wie dem Privatfernsehen und -radio an, erlauben jedoch parallel dazu das unbezahlte Senden. Andere, wie Twitter und Instagram, ermöglichen ihren Nutzern keine direkte Monetarisierung ihrer Reichweite und erlangten Aufmerksamkeit; teils lässt sich diese mit externen Diensten wie Patreon oder der Nutzung als Werbeplattform für eigene Produkte kompensieren. Manche haben nicht einmal ein nachhaltiges Geschäftsmodell, so wie Telegram, das seine letzten Einnahmen mit dem Verkauf selbst erzeugter Blockchain-Token („ICO“) erzielte, bevor die amerikanische Börsenaufsicht dem ein Ende setzte.
Das Internet schafft damit einen Raum für Medienprodukte, die vom Narzissmus oder der Agenda der Sender sowie der Einfalt ihrer Gefolgschaft leben. Esoterik und Verschwörungstheorien, die in den letzten Wochen in Form von Demonstrationen aus dem Internet herausschwappten, stellen nur eine Ausprägung diese Modells dar. Dass sich Telegram in diesem Zusammenhang zum Kopp-Verlag unter den Messengern entwickelt hat, dürfte nicht zuletzt fehlenden Reichweitebeschränkungen zuzuschreiben sein.
So im jungen Internet jeder mit wenig Aufwand ein Spammer werden konnte (Stimmt die Zeitform oder gibt es immer noch so viel Spam und ich sehe ihn nur nicht mehr?), kann heute auch jeder ein Massenmedium sein. Er muss dafür nur Zeit investieren und veröffentlichen, was seiner Zielgruppe gefällt. Als Belohnung gibt es Likes, Reshares und manchmal eine „Hygienedemo“ besonders eifriger Anhänger. Etwas Besseres als ein folgsamer Mob kann den Sendern kaum passieren.
Vordergründig funktioniert dieser neue Medienmarkt zwar wie der Alte, der ebenfalls Aufmerksamkeit belohnt, doch fällt das Geld als Regulativ für Inhalte weitgehend weg – auch auf Seiten der Empfänger, die sich nicht mehr auf einige wenige mutmaßlich seriöse Quellen festlegen müssen, sondern sich aus einem Überangebot das herauspicken, was ihnen gerade gefällt. Zugleich verschwimmen die Grenzen zwischen Sendern und Empfängern. Alle machen alles und viele träumen davon, es vom Twitter-Ei zum Like- oder Follower-Millionär zu bringen.
Negative Konsequenzen haben die Jedermannmedien auch dort, wo keine böse Absicht im Spiel ist. Aktuelles Beispiel: Das deutsche Corona-Warn-App-Projekt arbeitet relativ offen auf GitHub. Dort kann jeder in die Dokumentation und den Programmcode schauen, Fragen stellen, Probleme melden und diskutieren. Die Entwickler reagieren darauf professionell und nachvollziehbar, sie sind in einem vernünftigen Maß – um fertig zu werden, muss man manchmal Prioritäten setzen und nicht alles entscheiden die Entwickler selbst – offen für Kritik und Verbesserungsvorschläge. Doch die Arbeitswoche beginnt für sie nach dem Feiertag damit, dass sie am Dienstag halb neun jemand per Twitter anpisst, weil ihm an ihrem Datenbankentwurf etwas nicht gefällt. Die genannten Merkmale stellen wahrscheinlich gar kein großes Problem dar, weil die Datenbank im Fall der Corona-Warn-App ohnehin nur der Koordination dezentraler App-Instanzen dient und die zentral anfallenden Informationen kaum etwas über identifizierbare Personen aussagen. Trotzdem gibt’s zur Belohnung allgemeines Schulterklopfen. Den Entwicklern will er’s vielleicht später melden.
Dies ist das Resultat einer Plattform, die den Narzissmus ihrer Nutzer gamifiziert hat, um damit Geld zu verdienen. Hier kann jeder ein kleiner Trump sein und sich seine tägliche Dosis Bestätigung aus der eigenen Populismusblase holen. Im kleinen Maßstab ist das kein Problem, doch insgesamt kommen wir vielleicht nicht darum herum, den senderseitigen Aufwand wieder an die Reichweite zu binden und so die alte Trennung zwischen relativ aufwändiger Massen- und billiger Individualkommunikation geringer Reichweite wiederherzustellen.
CoronApp-News (2020-05-31)
Etwas verspätet die Linksammlung rund um Corona-Apps aus der vergangenen Woche:
- Die Entwickler der deutschen Corona-Warn-App haben Quelltexte der App selbst und weiterer Teilsysteme veröffentlicht. Auch Entwürfe der Benutzerschnittstelle gibt es inzwischen zu sehen. Der Bundesinnenminister ist optimistisch, dass die App bald fertig werde. Was man über unsere künftige Corona-App wissen muss, fasst Golem.de zusammen.
- Ein Gesetz zur Corona-Warn-App hält die Bundesregierung weiter für unnötig, schließlich sei die Nutzung freiwillig. Ob auch die Selbstisolation freiwillig bleibt, obwohl die Unterlassung in Kenntnis einer Warnung schnell zur Körperverletzung werden kann, hat wohl noch niemand gefragt. Ausgerechnet die Amerikaner, auf die wir in puncto Datenschutz gerne herabsehen, sind uns einen Schritt voraus.
- Die französiche App StopCOVID erhielt den Segen der Nationalversammlung und soll in den nächsten Tagen starten. Die dortigen Datenschützer spielen mit, jedoch mit Bauchschmerzen. Die Schweizer „SwissCovid-App“ geht in den Feldversuch. Auch dort ist das Parlament mit der Gesetzgebung befasst.
- Großbritannien setzt auf eine Kombination aus einer Contact-Tracing-App, die immer noch im Testbetrieb ist, und herkömmlicher Kontaktverfolgung. Mal eben 25.000 Helfer anzulernen und remote zu beschäftigen, ist allerdings auch nicht so einfach. Ebenfalls schlecht funktioniert die Selbstisolation: Selbst unter jenen, die Symptome zeigen, folgt nur die Hälfte der Aufforderung, zu Hause zu bleiben.
- In Australien gibt es sein einem Monat eine Corona-App. Geholfen haben soll sie bis jetzt in einem einzigen Fall. Das muss allerdings nicht an der App liegen. Wir erinnern uns: Das unmittelbare Risiko einer Ansteckung ist gegenwärtig sehr gering und die Vorsichtsmaßnahmen sollen bewirken, dass dies so bleibt.
- Netzpolitik.org hat Erfahrungen mit Corona-Apps aus mehreren Ländern zusammengetragen.
- Unterdessen stellen neuere Erkenntnisse zu Ansteckungen das früh festgelegte Konzept der individuellen und dezentralen Kontaktverfolgung in Frage. Wie Michael Seemann in einem Twitter-Thread skizziert, ist die Ansteckungsgefahr wahrscheinlich bei einem langen gemeinsamen Aufenthalt in Innenräumen am größten. Davon soll die deutsche Corona-Warn-App jedoch nichts wissen.
- Aus China, wo Apps ganz ungeniert als dynamischer Gesundheitspass eingesetzt werden, berichtet das Auslandsjournal des ZDF. Auch eine Arte-Doku, die bereits Mitte April erschien, widmet sich Chinas Umgang mit der Pandemie. An Gesundheits-Apps finden Regierung und Behörden gerade Gefallen und überlegen, was man sonst noch damit anstellen könnte.
Genug Material für den Feiertag, oder?