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Von wegen Algorithmen

Ihr kennt sicher alle das Mem von den geheimnisvollen Algorithmen der Sozialinteraktionsmedien, über die man rein gar nichts wisse als dass sie politische Diskurse im Lande manipulierten und Extremismus förderten, weshalb man sie dringend offenlegen, gesetzlichen Regeln unterwerfen, wenn nicht gar durch öffentlich-rechtliche Algorithmen ersetzen müsse. Als besonders verrufen gelten den Verbreitern dieses Mems die Hochfrequenzbrainrotdienste X, ehemals Twitter, aus Amerika und TikTok aus China.

Deren geheimnisvolle Algorithmen sind nach allem, was wir wissen, nichts weiter als Empfehlungssysteme, die aus einem Meer aus Inhalten für jeden Benutzer welche auswählen, die dieser Benutzer wahrscheinlich konsumiert. Die Regeln, nach denen dies geschieht, werden statistisch aus Nutzungsdaten ermittelt („gelernt“) und nicht direkt von Menschen programmiert.

Der Algorithmus™, oder genauer: dessen aus Daten gelernte Parametrisierung, ist der am wenigsten interessante Teil dieses Geschehens. Die gelernten Parameter repräsentieren Erfahrungswissen und Erfahrung hat ihre Wurzeln in der Realität, nicht im Wunschdenken. Wollte man konstruktiv über einschlägige Plattformen diskutieren, müsste man statt solcher Details grundlegende Entwurfsentscheidungen und deren wirtschaftliche Hintergründe behandeln. TikTok und X bespielen ihre Konsumenten mit einer modernen Form des Jedermannfernsehens aus kleinen Schnipseln für kurze Aufmerksamkeitsspannen. Wie der Algorithmus™ die einzelnen Schnipsel auswählt, bleibt zweitrangig.

Wer diese Designdiskussion zu schwierig findet, kann sich auch erst einmal mit einer reinen Beschreibung begnügen und eine noch naheliegendere Frage stellen: Welche Eingaben führen dazu, dass ein System mit auch ohne Detailkenntnis der Empfehlungsparameter durchaus verstehbarem Verhalten die beobachteten Ausgaben zeigt? Dies hat der Politikberater Martin Fuchs für TikTok getan – und herausgefunden, dass schon die Aktivität dort im politischen Spektrum des Bundestags ungleich verteilt ist. Die Ränder sind aktiver, die Mitte hält sich zurück; die Ränder gehen zudem geschickter mit den Medien und ihren Besonderheiten um.

Wer die Diskussion auf Algorithmen verengt, zumal ohne etwas von Algorithmen zu verstehen, tut nicht einmal sich selbst einen Gefallen. Die Herausforderungen liegen nicht in Algorithmen, sondern in den Strukturen unserer Medien- und Diskurslandschaft.