Der klassische Datenschutz europäischer und insbesondere deutscher Prägung geht von einem Vorurteil aus: Das Speichern und Verarbeiten personenbezogener Daten sei gefährlich und die Gefahr wachse proportional mit der Datenmenge pro Person. Folgerichtig bleiben diese gefährlichen Handlungen verboten, solange sie nicht eine Einwilligung des Betroffenen oder ein Gesetz erlaubt.
Max Schrems, Initiator von Europe vs. Facebook und derjenige, der von Facebook Auskunft über seine dort gespeicherten Daten erstritt, hat ein Buch geschrieben, Kämpf um deine Daten. Die zugehörige Rezension der FAZ illustriert die Datenschutz-Prämisse und wie sie unsere Wahrnehmung beeinflusst:
»Ein anderer Slogan der Digitalwirtschaft lautet: „Wir machen doch alles nur, um die Werbung auf den Nutzer zuzuschneiden.“ Dem hält Schrems entgegen, dass personalisierte Werbung längst nicht so effektiv ist, wie alle tun. Werbetreibende erzählten das hinter vorgehaltener Hand. Die komplette Durchleuchtung des Nutzers geschehe im Grunde bloß für ein paar lausige Klicks mehr, resümiert Schrems. Nur wegen Cent-Beträgen wird unser Grundrecht auf Datenschutz aufgelöst.«
Die komplette Durchleuchtung aus nichtigem Anlass, anders kann man es kaum sehen, wenn man die Grundannahme des Datenschutzes akzeptiert. Tut man dies nicht, so bietet sich eine alternative Interpretation an: Was die Datenkraken über uns wissen und vorhersagen können, genügt gerade mal, um die Werbeklickraten ein wenig zu erhöhen. Von Algorithmen, die uns besser kennen als wir selbst, kann keine Rede sein. Personalisierte Werbung ist weit davon entfernt, uns genau das vorzulegen, was wir sicher anklicken werden. Darüber liefert der Einzelne nämlich viel zu wenig Informationen. „Personalisierte“ Werbung ist in Wirklichkeit statistisch optimierte Werbung, der die Zielgruppensegmentierung und -zuordnung ein wenig besser gelingt als den extrem groben klassischen Mechanismen. Mit herkömmlichen Methoden bekomme ich Autowerbung, wenn ich eine Autozeitschrift lese und Nerdwerbung auf Slashdot. Moderne Verfahren nutzen vielfältigere Merkmale und finden die optimale Auswahlstrategie zum Teil selbst.
Viel mehr als eine etwas genauere Zielgruppensegmentierung steckt nicht hinter der personalisierten Werbung, und die meisten Anzeigen werden nach wie vor ignoriert. Statt von der kompletten Durchleuchtung für ein paar Cent sollte man besser von Optimierungen am Rande der Aufmerksamkeit sprechen. Ist das gefährlich, schädlich, manipulativ? Eher nicht, jedenfalls nicht mehr als Werbung an sich schon ist. Lebe ich besser, wenn ich sorgfältig jede Datenspur vermeide? Nicht messbar. Diese pragmatische, risikoorientierte Sicht ist dem klassischen Datenschutz fremd.
P.S. (2014-06-14): Kristian Köhntopp erklärt passend dazu, warum verschiedene Formen der Durchleuchtung unterschiedlich nützlich sind.