Egal ob Slashdot oder Anti-Ökologismus-Blog, Telepolis oder ScienceBlogs, wo das Netz übers Klima palavert, geht die Debatte unweigerlich den Weg jeder Helmdiskussion. Zwei Lager stehen einander unversöhnlich gegenüber und jede Seite hält die andere für die rechte Hand des Teufels. Auf einer Seite der Front kämpft man gegen Leugner, auf der anderen gegen Alarmisten.
Das Ergebnis ist eine tausendfach wiederholte Strohmanndebatte, die zu nichts führt, weil sie um die falschen Fragen kreist. Tatsächlich geht es gar nicht zuerst um Wissenschaft, sondern um Politik. Der Versuch, die politische Debatte allein wissenschaftlich zu klären, ist ebenso unseriös wie umgekehrt eine Politk, die die Erkenntnisse der Wissenschaft ohne Begründung ignoriert.
Die Wissenschaft liefert uns eine physikalische Theorie über die Wirkung von CO2 in der Atmosphäre. Diese Theorie ist erstens mit anderen, selten angezweifelten Erkenntnissen der Naturwissenschaften kompatibel bzw. folgt sie daraus. Die Wissenschaft liefert uns zweitens direkte Messdaten aus den letzten ca. 200 Jahren, die zur Theorie passen. Bis hierhin sind Zweifel blöd, so blöd, dass man sie getrost ignorieren kann. Die direkte Wirkung von CO2 tritt sehr schnell ein, so dass man sie bereits über kurze Zeiträume gut beobachten kann; gleichzeitig erfolgt die Änderung des CO2-Gehalts auch schnell genug.
Langsamere Prozesse sind schon schwieriger zu fassen. Es gibt eine Reihe indirekter Beobachtungen, die Rückschlüsse über die Klimavergangenheit zulassen. Die sind vermutlich recht brauchbar; wir wissen heute eine Menge über die letzten Eiszeiten etc. pp. Prinzipbedingt sind die Ergebnisse indirekter Beobachtungen jedoch etwas weniger zuverlässig als direkte Messungen. Es kommen Störfaktoren hinzu, mit denen man grundsätzlich umgehen kann, die man aber nicht vergessen darf. In ganz wilder Analogie ausgedrückt: wir haben so etwas wie ein verrauschtes Digitalfoto. Man erkennt schon noch etwas und kann mit einer Portion Bildverarbeitung nachhelfen, aber besser als ein rauscharmes Bild wird es nie. Die Klimaforschung bricht daran nicht zusammen, aber ihre Ergebnisse stehen ab hier unter dem Vorbehalt, dass sich ein verlässliches Bild erst aus mehreren unabhängigen Untersuchungen ergibt. Da mag es Fragen geben, die noch nicht genügend geklärt sind. Welche das sind und welche Rolle sie spielen, kann ich nicht beurteilen, ich bin kein Klimaforscher.
Bis hierhin handelt es sich um eine rein wissenschaftliche Diskussion, die aus sich heraus keine aufgeregten Debatten rechtfertigt. Das Klima und die Klimahistorie als solche sind praktisch ungefähr so bedeutsam wie Exoplaneten, die Elemente 108 und 110 oder die russische Volkskunst des 17. Jahrhunderts.
Zum Aufreger wird das Thema erst durch seine politische Komponente. Aus den durchaus brauchbaren Erkenntnissen der Wissenschaft wird eine Prognose abgeleitet und mit dieser Prognose wiederum werden politische Standpunkte und Forderungen begründet. Das ist nicht per se falsch, aber wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Übergang in die politische Debatte die Grundlagen, die Randbedingungen und die Spielregeln verändert.
Grundlage der Diskussion ist jetzt nicht mehr die relativ gut gesicherte und ziemlich irrelevante Erkenntnis, sondern die darauf gestützte Voraussage. Die ist weit weniger verlässlich als unsere Kenntnis der Vergangenheit. Bereits wenn wir und auf die Physik des Klimasystems beschränken, sind wir in den Voraussagen weit entfernt von der Verlässlichkeit, mit der wir etwa eine Mondfinsternis oder den Zeitpunkt des Sonnenaufgangs am 23. Mai in Frankfurt vorhersagen. Wir haben plausible Schätzungen, mehr nicht. Was übrigens keine Verharmlosung ist, wenn wir daran denken, dass Fehler in beide Richtungen auftreten können, vielleicht also alles viel schlimmer wird als wir heute glauben.
Um die Voraussagen im strengen Sinne zu prüfen, müssen wir warten, bis der Vorhersagezeitraum verstrichen ist. Der Vorhersagezeitraum, das sind mindestens einige Jahrhunderte, wenn man Ozeane, Polkappen und so weiter berücksichtigt, die vergleichsweise träge reagieren. Um überhaupt irgendeine Vorhersage sauber empirisch zu prüfen, braucht man bereits einige Jahrzehnte. Erst über diesen Zeitraum gemittelt wird aus dem Wetter das Klima, das sich von ein paar kalten Winter- oder heißen Sommertagen nicht beeindrucken lässt.
Selbst wenn wir die vorliegenden Erkenntnisse der Klimaforschung sowie ihre Voraussagen vorläufig als richtig annehmen, handeln wir uns allein durch den langen Zeitraum der Betrachtung neue Variablen ein. Voraussagen über die gesellschaftliche und technische Entwicklung der nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte sind ein zweifelhaftes Unterfangen, auch wenn sich die Wahrsager heute vornehm Zukunftsforscher nennen. Man überlege sich, was wohl vor hundert Jahren plausible Zukunftsprognosen gewesen wären. Kernkraftwerke und drahtlose Internetzugänge gehören ziemlich sicher nicht dazu.
Aus dieser Situation ergeben sich schwierige politische und philosophische Fragen. Um deren Beantwortung drückt sich, wer die Debatte fälschlich auf einen Konflikt „Wissenschaft vs. Skeptiker/Leugner/Wasauchimmer“ reduziert. Das ist tatsächlich die am wenigsten relevante Konfliktlinie, wenngleich wohl jene, die allen am leichtesten eine zur Schau gestellte Wohlfühlpositionierung auf einer Seite der eingebildeten Front erlaubt.
Die Wissenschaft sagt uns, dass wir ein Problem haben und dass wir dieses Problem ernst nehmen müssen. Mehr aber auch nicht, und die Kernfrage kann sie gar nicht beantworten: was wir tun und was wir lassen sollen. Diese Frage führt uns auf ein heikles Gebiet, denn es geht um Handlungen, deren Ergebnis erst in ferner Zukunft überprüfbar sein wird. Die Gefahr ist groß, dass der in Aussicht gestellte, aber ferne Erfolg gegenüber anderen Werten überbetont wird, dass man sich unter Verweis auf eine vorerst nur behauptete Zukunft aus der heutigen Verantwortung stiehlt. Strukturell unterscheidet sich die oft angeführte Verantwortung für künftige Generationen als Argument nicht vom vermeintlich gesetzmäßigen Weg zum Kommunismus, an den die Marxisten glaub(t)en oder den 72 Jungfrauen, die den erfolgreichen Selbstmordattentäter im Paradies erwarten.
Das bedeutet nicht, dass wir das Problem ignorieren sollen. Aber wir müssen durchaus vorsichtig sein, was wir damit rechtfertigen, und wir dürfen andere Werte dabei nicht leichtfertig über Bord werfen. Als Denkanstoß: wenn CO2 die Menschheit bedroht, müssten wir dann nicht in letzter Konsequenz auch bereit sein Krieg zu führen gegen Schurkenstaaten, die sich einer Reduktion verweigern und weiter ungehemmt Kohle, Öl und Gas verbrennen? Was wollen wir wirklich aufgeben für das vage Versprechen einer besseren Klimazukunft, den Luftverkehr, die Glühbirne, das Internet oder den Atomausstieg? Welche konkreten technischen und politischen Fragen ergeben sich überhaupt aus dem Problem? Müssen wir radikal Energie sparen oder vielleicht einen solargetriebenen industriellen Kohlenstoffkreislauf implementieren, der uns atmosphärenneutral Brenn- und Grundstoffe liefert?
Mit solchen Fragen müsste sich eine rationale und konstruktive Debatte beschäftigen. Statt dessen ziehen sich alle einvernehmlich auf eine emotional geführte Scheindiskussion zurück. Vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil es zu den eigentlichen Fragen eine Reihe vorgefasster Ansichten gibt, die ohne die künstliche Frontenbildung keine Chance auf eine nennenswerte Zahl von Mitstreitern hätten.
(Leicht modifizierte Fassung eines Kommentars im Nightline-Blog)
PS: Lesenswert ist auch dieser Kommentar von TomGard im Weatherlog, der alles sehr schön in knappen Stichpunkten zusammenfasst.
PPS: The Collapse of Climate Policy and the Sustainability of Climate Science (via)