Datenkrake Google (2/7): Naive Modelle

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Im ersten Teil haben wir gesehen, dass Google häufig missverstanden wird, weil wir Metaphern aus unserer Erfahrungswelt auf Google anwenden und damit alles für erklärt halten. In Wirklichkeit funktionieren solche Metaphern aber nur für einige Oberflächenphänomene.

Google als Datenbank?

Ein vebreitetes Missverständnis betrifft die Sammlung, Speicherung und Verwendung personenbezogener Daten, landläufig als Nutzerprofile bezeichnet. Nutzerprofile kann sich jeder vorstellen, das sind, ganz klar, umfangreiche Datensätze in riesigen Datenbanken:

»Die Profile als solche sollen ja immer anonym sein, das heißt (sofern ich das richtig verstehe), dass das z. B. so aussieht:

  • Profilnummer: 1337
  • Interessen:
    • Urlaubsziele: Toscana, Sizilien
    • Hobbies: Arduino, Lockpicking
    • Essen: Hamburger, Grießbrei

Wenn jetzt jemand Werbung schalten möchte, geht derjenige zu Google und sagt: „Hey, Google, ich will für mein Grießbreiwettessen am Fuße des Ätna Werbung schalten. Bitte zeige also allen Grießbreiessern, die gerne nach Sizilien fahren oder dort wohnen, folgende Werbung:
‚[…]‘.“«

(Kommentar von Steven Koenig alias Kreuvf  auf heise.de)

An diesem Modell orientieren sich unsere Ängste und Befürchtungen. Doch repräsentiert dieses Modell überhaupt die Realität? Es wirkt plausibel für den, der mal eine herkömmliche Datenbank gesehen hat, oder darauf basierende primitive Versuche der Datensammlung durch Abfrage beim Nutzer:

»Wer einen neuen Account im Internet anlegt – egal ob für die E-Mail, ein Webforum oder eine neue Shoppingseite – erlebt stets ein mühsames Prozedere: Zuerst muss man sich einen Nutzernamen und ein Passwort auswählen. Danach wird man über drei Seiten nach Details vom Geburtsdatum bis zu persönlichen Vorlieben befragt und muss die Anmeldung am Schluss per E-Mail absegnen.«

(Zeit Online: Stoppt die Datenkraken!)

Als Missbrauchsszenario stellen wir uns dazu gerne einen schwunghaften Handel mit solchen Datensätzen vor.

Andersdenkende

Google hat sich jedoch das Think Different! von Apple geborgt und tut Dinge gerne auf eine ganz andere Art als der gewöhnliche IT-Spießer. Mit lächerlichem Spielkram wie Datenbanken hält sich Google nicht auf. Der Grund dafür ist nicht etwa, dass Google nach der Weltherrschaft strebt, sondern dass Google die Herrschaft über ein Stück Welt besitzt: über einen riesigen, verteilten Computer, der fast alle. veröffentlichten Informationen zu sehen bekommt. Und damit etwas anfangen soll, trotz des Kauderwelschs aus einigen Hundert Sprachen und Dialekten. Dabei helfen Datenbanken nicht, die brauchen zu viele Menschen, die sich um sie kümmern.

Im oben zitierten Heise-Forum fragt User flare—-*: »Ein Mensch arbeitet, vergnügt sich, informiert sich, macht Unsinn. Wie will google das vernünftig trennen?« Die Antwort auf diese Frage lautet: Das weiß Google selbst nicht so genau. Die Geschichte von Google begann mit einer ähnlichen Frage und derselben Antwort: Wie können wir aus einem schlecht organisierten Haufen unstrukturierter, redundanter, fehlerhafter und mehrsprachigerTextdaten relevante Informationen herausfiltern? Googles Antwort lautete von Beginn an: Indem wir uns nicht um spezifische, ausformulierte Regeln kümmern, wie es etwa die Linguisten tun, sondern den Umgang der Nutzerpopulation mit den Daten statistisch auswerten. PageRank war eine Keimzelle der Google-Philosophie, die darin besteht, einen Computer mit allen möglichen Daten zu füttern und ihn die Antworten auf Fragen selbst finden zu lassen. Google ist ein Computer wie ihn Science-Fiction-Autoren jahrzehntelang beschrieben haben.

Datenschützer werfen Exceptions

Cloud Computing hat deshalb für Google eine Doppelbedeutung. Neben der landläufigen Interpretation als Verlagerung der IT vom Endgerät ins Netz bedeutet Cloud Computing für Google auch Statistik in vieldimensionalen Datenwolken zur Beantwortung von Fragen, kurz: statistische Inferenz und maschinelles Lernen.

Der herkömmliche Datenschutz tut sich schwer mit diesem Ansatz, denn er geht von den primitiven Modellen aus, die wir oben gesehen haben. So etwas wie Google ist in diesen Modellen nicht vorgesehen, und es gibt auch keinen Mechanismus im Datenschutz, der diesen Fehler erkennen und eine Excepton auslösen würde. Also wenden unsere Institutionen wacker die alten Begriffe auf eine neue Technik an. Das ist ungefähr so, als wollte man den heutigen Straßenverkehr mit Gesetzen aus der Ära der Postkutsche regeln. Formal ginge es irgendwie schon, wenn man Autos als pferdelose Wagen und Fahrräder als Drahtesel betrachtete, aber passend wären die Regeln nicht und es käme zu allerlei Absurditäten.

Dementsprechend knirscht es auch im Daten- und Privatsphärenschutz, wenn wir die Tradition mit der Moderne konfrontieren. Schwierigkeiten bereiten zum Beispiel:

  • Die binäre Unterscheidung zwischen personenbezogenen und anderen Daten, die Google bewusst und zweckdienlich vermischt
  • Die formalisierte Einwilligung des Individuums, das für Google eine Datenquelle in einem Kollektiv ist
  • Die Idee der Datensparsamkeit, die bei blinder und konsequenter Anwendung so etwas wie Google gar nicht zuließe, selbst wenn Google inhärent datensparsam wäre
  • Die Vorstellung einer feingranularen Zweckbindung etwa für das Datenfeld IP-Adresse, da solche Datenfelder nur in den Eingabedaten vorkommen

Google hat deswegen gar keine andere Möglichkeit als sich eine Generalklausel unterschreiben zu lassen, wenn Google Google bleiben will, unabhängig davon, ob Google mit unseren Daten gute oder böse Sachen macht.

Im nächsten Teil wird es darum gehen, wie Google aus Netzinhalten und Nutzerdaten nützliche Funktionen baut, ohne Privatsphären zu verletzen.

4 Kommentare zu „Datenkrake Google (2/7): Naive Modelle

  1. Zitat: „Im ersten Teil haben wir gesehen, dass Google häufig missverstanden wird, weil wir Metaphern aus unserer Erfahrungswelt auf Google anwenden und damit alles für erklärt halten.“

    Wo genau haben wir das gesehen? Hast du maximal behauptet, auf keinen Fall belegt. Zurück zur Logikvorlesung Prof. Rohleder!

    😉

    1. Ohje, meine Vergangenheit holt mich ein, und ausgerechnet wegen Google. 🙂 Ja, ich habe durch die ganze Serie hindurch immer mal wieder Abkürzungen genommen. Betrachte die Texte als den ersten Entwurf für einen richtigen Artikel. Du darfst also gerne Fehler anstreichen.

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