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Ersatzdroge Blockchaincoin

Warum fallen neben den üblichen Opfern von Anlagebetrügern auch Unternehmen und Politik auf Märchen von den wunderbaren Kryptowährungen und der revolutionären Blockchaintechnologie herein? Vielleicht deshalb, weil sie auf Entzug sind und nach einer Ersatzdroge gieren. Eine These:

Hinter uns liegt der bessere Teil einer dritten industriellen Revolution, getrieben vom Mikrochip als Technik- und vom Internet als Infrastrukturinnovation. Gerade der Siegeszug des Internets in den vergangenen dreißig Jahren hat ähnlich atemberaubende Auswirkungen wie einst die Entstehung von Industriebetrieben und Eisenbahnnetzen oder später die Elektrifizierung. Eine ganze Generation hat sich daran gewöhnt, in schneller Folge mit digitalen Neuheiten beglückt zu werden und mit Investitionen in Digitales fast immer Gewinne zu machen.

Die Digitale Revolution ist noch lange nicht an ihrem Ende angelangt, doch das Tempo hat sich spürbar verlangsamt. Dies löst Entzugserscheinungen bei denen aus, die bisher fette Gewinne einfuhren, und Torschlusspanik bei jenen, die nicht dabei waren und Versäumtes gerne nachholen würden. Beide suchen eifrig nach dem Next Big Thing, um von Anfang an dabei zu sein. Bei den einen kommen dabei müde Geschäftsideen von Taxiplattformen über Elektrotretrollerverleih bis zur Saftplattform Juicero heraus, die anderen hoffen wie die Bundesregierung mit ihrem Schlagwort „Industrie 4.0“ auf eine weitere, vierte industrielle Revolution.

In diesem Klima fällt die Behauptung der Blockchaincoinszene auf fruchtbaren Boden, man arbeite hier an einer revolutionären Technologie, die jeden Moment einen neuen Schub von Innovation und Disruption auslösen müsse. Das kommt ihnen gerade recht, darauf haben sie gewartet, da wollen sie auf jeden Fall dabei sein. Ob bewusst oder zufällig, die Blockchainszene erzählt ihnen genau das, was sie hören möchten. Auf eine echte Revolution zu warten, wie sie sich alle hundert Jahre mal ereignet, dauert ihnen zu lange und es ist ja auch riskant: Was, wenn man dann wieder zu spät dran ist?

Das heißt leider auch, dass das Problem nicht verschwindet, wenn sich der Marktpreis von Blockchaincoins und -token eines Tages ihrem tatsächlichen Wert angleicht. Sie werden sich dann nur ein neues Thema suchen, auf das sie ihre Hoffnungen projizieren können – mit Ökostrom erzeugten Wasserstoff zum Beispiel – und daran weiter träumen. Damit sich das ändert, brauchen wir jetzt mal dreißig Jahre Langeweile und ein paar Rückschläge. Das Gute daran: Während dieser Zeit könnten wir auch unseren Rückstand aufholen.

#GaiaXFakten

Gaia-X soll der Chuck Norris unter den Clouds – nein, das passt nicht, zu wenig europäische Werte. Gaia-X soll die Abteilung für Informationswiederbeschaffung unter den Clouds werden, der Goldstandard, die digitale Mondrakete. Wäre Elon Musk Europäer, hätte er statt eines Tesla Gaia-X ins All geschossen. Gaia-X war einziger Teilnehmer eines Wettbewerbs der Agentur für Sprunginnovation und schloss diesen mit einem überdurchschnittlichen Ergebnis ab. Gaia-X heilt Krebs. Chatbots werden mit Gaia-X zu geistreichen Gesprächspartnern. Gaia-X wird alle Versionen des Trolley-Problems in einem Tweet lösen. Gaia-X transzendiert Raum, Zeit, Rechenzentren und Unternehmen. Gaia-X läuft nicht in der Cloud, sondern die Cloud läuft in Gaia-X. Gaia-X braucht kein Geschäftsmodell, sondern Geschäftsmodelle brauchen Gaia-X. Amazon kauft bei Gaia-X ein. Uber lässt sich von Gaia-X ein Taxi rufen. Gaia-X sitzt in den Aufsichtsräten aller europäischen Internet-Konzerne. Mit Gaia-X wird Deutschland E-Government-Weltmeister. Die Büros von Gaia-X arbeiten papierlos. Gaia-X hatte seine Corona-App schon vor der Schweinegrippe fertig. Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder empfiehlt Videokonferenzen per Gaia-X als Alternative zur Briefpost.

PS (2020-06-11): Die Fortsetzung gibt’s häppchenweise bei Twitter.