Archiv der Kategorie: Sicherheitshinweise

Digitaler Veganismus

Kelbers wohlfeile Datenschutztipps an die falsche Adresse sehe ich als Symptom eines allgemeineren Trends. Nicht nur suchen sich amtliche Datenschützer mit den Bürgerinnen und Bürgern die falsche Zielgruppe, sie verbreiten dabei auch gerne fragwürdige Verhaltensmaßregeln, die zu ignorieren meist sehr vernünftig scheint. Ich nenne diese Maßregeln digitalen Veganismus, weil sie willkürlich sind, nur eine ideologische Begründung haben und sie den Alltag erschweren, ohne nennenswerten Nutzen zu stiften.

Veganer können nicht einfach zum Bäcker gehen und ein Brot kaufen, sondern müssen dort erst die Zutatenliste studieren, um herauszufinden, ob nicht jemand einen Schluck Milch oder einen Löffel Butter oder eine unglückliche Küchenschabe in den Teig gerührt hat. Glücklich wird, wer sich dabei einen Distinktionsgewinn einreden kann; die meisten Menschen hingegen kaufen einfach das Brot, das ihnen schmeckt und sind damit zufrieden. Als individuell gewählte Lebensweise ist das eine wie das andere völlig in Ordnung. Öffentliche Stellen, die den Veganismus empfählen, gibt es meines Wissens nicht.

Im Datenschutz hingegen geben Aufsichtsbehörden, Universitäten, Aktivist*innen und andere nur zu gerne Tipps für das, was sie gerne „digitale Selbstverteidigung“ nennen. Im Wesentlichen laufen diese Tipps meist darauf hinaus, sich allerorten von „Datenkraken“ verfolgt zu fühlen und Zuflucht in einem digitalen Aluhut in Form originellen, das heißt von den Gebräuchen des Mainstreams abweichenden Verhaltensweisen zu suchen. Das Angebot Data Kids der Berliner Datenschutzbeauftragten zum Beispiel warnt vor „diebi­schen dreis­ten Daten­wolken“ und „Krakina Kompli­zia“ und empfiehlt dagegen das Ritual, eine Abdeckung für eine Kamera zu bauen als sei der meist nur eingebildete Kameramann im Laptop ein relevantes Problem. Wie man dagegen rechtzeitig bemerkt, dass ein Kammergericht in ihrem Zuständigkeitsbereich in Sachen Sicherheit und Datenschutz nicht einmal näherungsweise auf der Höhe der Zeit ist, weiß die Beauftragte anscheinend  nicht, sonst hätte sie es ja bemerkt. Das ist freilich auch etwas anspruchsvoller als Kindern das Märchen von Krakina Komplizia und den sieben Clouds zu erzählen.

An die ewigen Warnungen offizieller Datenschützer, WhatsApp sei haram, weil es Adressbücher aus einer Cloud in eine andere hochlade, haben wir uns gewöhnt. Kein Mensch schert sich darum; WhatsApp ist so alltäglich geworden wie das Telefon, weil es umstandslos und ohne Schmerzen (naja) funktioniert. Nur wo die Datenschützer Macht haben, ist WhatsApp abweichend vom Normalen verboten – man möge bitteschön Alternativen nutzen.

Auf diesem Niveau bewegen sich die meisten Empfehlungen aus dem Reich des digitalen Veganismus: andere Messenger als die meisten Menschen möge man benutzen, einen anderen Browser, ein anderes Betriebssystem, andere Suchmaschinen und andere Landkarten. Seine E-Mail möge man verschlüsseln, die Cloud links liegenlassen und bei Bedarf besser eine eigene betreiben als hätte man alle Zeit der Welt und nichts Wichtigeres zu tun. Und wer einen Termin mit anderen abstimmen wolle, solle nicht irgendeinen Terminplaner benutzen, sondern bitteschön Nuudle, am besten mit dem Tor-Browser über das Tor-Netz (im Volksmund Darknet genannt).

Einen objektiven Nutzen hat diese Kasteiung nicht, doch kann man sich selbst dafür belohnen, indem man sich einredet, zu den Erleuchteten zu gehören und im Gegensatz zur vermeintlich blöden Masse der „Sheeple“ das Richtige zu tun. Das ist zwar ziemlich arrogant, aber wer diesen Teil im Stillen abwickelt und nach außen nur seine oberflächlich als hilfreich und wohlmeinend verpackten Ratschläge zeigt, bekommt wenig Gegenwind. Wenig Erfolg auch, denn die meisten Menschen fragen sich hier ebenso wie im Angesicht eines Zutatenlisten wälzenden Veganers, was das denn solle und bringe, warum sie sich so etwas antun sollten. Erfolg ist jedoch gar nicht gewollt, denn er würde alles zerstören: Begänne eine Mehrheit damit, den Ratschlägen zu folgen, wäre das Wohlgefühl der Ratgeber dahin.

PS (2020-04-27): Die Schattenseiten der gerne als gleichwertig hingestellten Alternativen werden im Artikel Endlich glückliche Freunde bei Golem.de deutlich. Dort geht es um den Messenger Signal, der WhatsApp im Funktionsumfang merklich hinterherläuft. Darin findet sich zudem ein Verweis auf den älteren Artikel Wie ich die Digitalisierung meiner Familie verpasste, dessen Autor beschreibt, wie er sich durch WhatsApp-Verweigerung aus der Kommunikation seiner Familie ausschloss.

PS (2020-07-06): Selbst wer keine bunten Bildchen braucht, wird mit Signal nicht unbedingt glücklich.

Keksfontäne

Die einen haben Werbe- und Cookiefilter, die anderen interessiert es nicht. Was beim Besuch einer Website vor sich geht und wer dabei zuguckt, merkt deshalb kaum jemand. Bis dann mal ein Anlass kommt, mit einem jungfräulichen Browser auf eine Website zu schauen und dabei Cookies zu zählen, weil man’s für eine Metrik braucht, über die man gerade ein Paper schreibt. Der Untersuchungsgegenstand ist last.fm und nach wenigen Klicks sieht die Cookieliste so aus:

Firefox-Einstellungen mit den Cookies, die ein Besuch auf last.fm dort hinterlassen hat

Bereits der erste Seitenabruf liefert eine ganz ansehnliche Menge von Fremdcookies:

  • ice.112.2o7.net
    • s_vi
  • ad.doubleclick.net
    • test_cookie
  • googleads.g.doubleclick.net
    • id
  • lastfm.ivwbox.de
    • srp
    • i00
  • b.scorecardresearch.com
    • UID
  • dw.com.com
    • XCLGFbrowser .com.com

Klickt man dann noch ein wenig herum und hat dabei das Pech, ein Werbebanner von adrolays.de zu sehen, werden es noch viel mehr. Das Banner ist dann nämlich ein Metabanner, in dem mehrere Stück Werbung sinnlos(*) herumrotieren. Damit fängt man sich diese Cookies ein:

  • a.adrolays.de
    • RVS
    • RVSS
  • tracking.quisma.com
    • gmv30624
    • gmv31626
  • banners.webmasterplan.com
    • ASP.NET_SessionId
    • affili_4227pw
  • partners.webmasterplan.com
    • ASP.NET_SessionId
    • affili_0
    • affili_2906
  • http://www.active-srv02.de
    • apv_1
  • dslshop.vodafone.de
    • PV
  • http://www.vodafone.de
    • oshop
  • shop.vodafone.de
    • oshop
  • ad.zanox.com
    • zttpvc
    • zptpvc
  • ads4unitymedia.de
    • UM_chan_perm
    • UM_chan_temp
  • zx.alice-dsl.de
    • ALICA_HTB

Mit jeder Cookie-Quelle hat mein Browser unterwegs wenigstens einmal geredet. Kein Wunder, dass Werbeschleudern als Verbreitungsvektor für Schadsoftware immer beliebter werden (guckst Du Beispiel). Man muss ja nur irgendeine der 17 aufgezählten Sites hacken und erwischt damit unzählige Nutzer im Netz.

Unter anderem deswegen ist übrigens der gut gemeinte Sicherheitshinweis, man solle „aufpassen“ und sich von dunklen Ecken des Netzes fernhalten, völlig wirkungslos. Es kann einen überall treffen.

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(*) Irgend etwas wird man sich dabei wohl gedacht haben. Vielleicht so etwas: »Wir sind Scharlatane, aber wir haben das Glück, dass man uns nach der Zahl der Versuche und nicht nach dem Erfolg bezahlt. Warum vermieten wir ein und denselben Bannerplatz nicht einfach mehrfach und zählen den User, der das Banner ignoriert, jedem unserer Kunden einmal vor?« Das ist selbstverständlich nur eine Spekulation.

Werden Kreditkarten billiger?

Vielleicht können wir uns langsam von der Vorstellung verabschieden, dass man mit seinen Kreditkartendaten im Netz „vorsichtig“ sein müsse oder die Karte am besten gar nicht benutze. Diese wohlmeinenden Sicherheitshinweise waren zwar schon immer Blödsinn. Eine Kreditkarte ist dazu da, dass man sie benutzt, es gibt wenige Möglichkeiten, dabei Vorsicht walten zu lassen, und beim User ist die Sicherheit ohnehin schlecht aufgehoben. Nun gibt es auch noch Hinweise darauf, dass sich reine Kartendaten ohne PIN für Kriminelle immer weniger lohnen:

»Credit cards are no longer valuable, so criminals now want PIN numbers. Earlier this week, Symantec reported credit card data can sell for as little as six cents in online criminal markets, which consist of „various forums, such as websites and Internet Relay Chat (IRC) channels, which allow criminals to buy, sell, and trade illicit goods and services.“ Verizon reports the value of credit card data at fifty cents, down from a minimum of $10 in mid-2007.

In contrast, Symantec said, bank credentials can sell for $10 or more. Verizon did not disclose a price for PIN data, but said, „the big money is now in stealing personal identification number (PIN) information together with associated credit and debit accounts.“«

(Credit Cards No Longer King in Crime Networks)

Der Artikel scheint schon ein Jahr alt zu sein.

Ver-warnt

Wer sich über unsere Katastrophenlust (oder die einiger Medien) angesichts der jüngsten Schneefälle im Winter auslassen möchte, findet bei Stefan Niggemeier einen Aufhänger von Jörg Kachelmann sowie einige gute Kommentare. Wir lernen daraus neue Worte: neben Parameteorologie (= alles außer Kachelmann-Wetter) auch noch deutsche Eventgemeinschaft und Quote-durch-Panik-Masche.

P.S.: Sueddeutsche.de hat auch noch was dazu: Unseren täglichen Schock gib uns heute.

P.P.S.: Inzwischen sind sich die Medien alle einig in ihrer Selbstverdammung. Bis zum nächsten Kataströphchen.

Naked Truth

In the current discussion about the use of body scanners at airports (aka strip machines) many people seem to forget, that these scanners do not pose a remedy to the latest security threat, i.e. explosives. So I am amazed that in this day and age we still are preoccupied with knives and guns. And I ask myself, do we really need expensive technology to spot them? Are the Indians really the only part of the scenario that has changed? And isn’t touching my privates a bigger privacy infringement than taking a x-ray-picture?

Amerika überleben

USA-Erklärer Scot W. Stevenson widmet sich heute den viefältigen Gefahren, die in der nordamerikanischen Natur auf arglose Touristen warten:

»Es sind die „kleineren“ Gefahren, mit denen die Europäer schlechter zurecht kommen, angefangen mit einem Mangel an Respekt vor den diversen Giftspinnen (darunter die sechsäugige Brown Recluse Spider und die Schwarze Witwe).«

(USA Erklärt: Böse Pflanzen und gefährliche Tiere)

Es geht dann weiter mit Würmern, Pflanzen und Killerbienen.

Risikoperspektive

Über die Tipps des Auswärtigen Amtes zur Redution des persönlichen Terrorrisikos wollte ich mich auch noch lustig machen. Muss ich aber nicht, denn Burkhard Müller-Ullrich hat über diese CYA-Aktion bereits alles gesagt:

»Nochmal zum Mitschreiben: Das Außenministerium rät Mallorca-Urlaubern, Menschenansammlungen zu meiden. Man fragt sich, ob der Verfasser dieses Ratschlags schon mal auf Mallorca war und was er sonst noch von der Welt weiß.«

(Die Achse des Guten: Menschenmassen meiden!)

Tatsächlich geht es wohl gar nicht gar nicht darum, brauchbare Sicherheitshinweise zu geben. Das wäre weder nötig noch praktikabel, denn das persönliche Risiko ist auch nach den Knallfröschen vom Wochenende gering und jede weitere Reduktion mit übergroßen Kosten verbunden. Aber ein zuständiges Amt traut sich nur selten, einfach mit den Schultern zu zucken und unvermeidliche Risiken auf sich beruhen zu lassen. Irgendetwas muss man vorher tun, damit einem später keiner vorwerfen kann, man habe nichts getan. Risikointuition nennen wir das, und sie ergibt sich stets aus der persönlichen Perspektive des Handelnden. Wobei der Begriff Intuition vielleicht falsch ist, denn der Kern des Problems ist nicht die intuitive Bewertung des Risikos, sondern dessen Betrachtung aus der individuellen Perspektive.

Spione und Nähkästchen

Das schöne am digitalen Diebstahl ist ja, es fehlt den betroffenen nix. Wenn aber in die Firma analog eingebrochen wird und die Diebe ignorieren offensichtliche Wertgegenstände wie Bildschirme,  dann war’s vielleicht ein Datendieb.  Woran man einen Griff in die Datenkasse des eigenen Unternehmens bemerken kann, erzählt Wilfried-Erich Kartden von der Spionageabwehr  des Innenministeriums von NRW in der aktuellen IT-Sicherheit. Im Wikipedia-Stil trennt er erstmal zwischen Wirtschaftsspionage (staatliche Aktivitäten) und Konkurrenz-/Industriespionage (Spionage durch Unternehmen). Nach einem Exkurs über korrupte Übersetzer, Bauarbeitern mit WLAN-Routern und Keylogger-Funde kommt die Existenzberechtigungsstatistik von Corporate Trust (2007): 35,1 Prozent der deutscheun Unternehmen glauben, sie seien schon Opfer von Wirtschaftsspionage geworden. 64,4 Prozent hätten auch einen finanziellen Schaden zu verzeichnen. Die Schäden reichen von 10.000 bis 1 Millionen und das Wichtigste – die Schadensfälle steigen – laut Umfrage um 10 Prozent pro Jahr.  Sagt alles wenig aus, hört sich aber gut an.

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Man kann es auch übertreiben

Ein paar Sicherheitshinweise sollte man als Fluggast beachten, und die hat Focus Online aufgeschrieben. Das hat aber offenbar nicht gereicht, und man hat sich vorbeugend noch ein paar weitere ausgedacht:

»Planen Sie Ihren Gang zum WC sorgfältig, damit Sie nicht zu lange den Weg für das Kabinenpersonal blockieren. Das gilt auch für lang anhaltende Konversationen mit weiter hinten sitzenden Bekannten. Unterlassen Sie dabei hastige Bewegungen oder hektische Gesten etwa in Richtung Cockpit: Sie könnten beim eventuell mitfliegenden Sky-Marshal unnötig Verdacht erregen.«

Nein, liebe Redaktion, sorgfältig geplante Toilettengänge tragen nichts zur Sicherheit bei, und wenn ich vor schießwütigen Sky Marshals Angst haben muss, dann ist wohl nicht mein Verhalten das Problem.