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Verrechnet

Sehr schön, die Fahrradhelmpropaganda beginnt sich selbst zu zerlegen. Die Helm-PR hat den Punkt erreicht, an dem sich das gepflanzte Mem verselbständigt. Dabei gerät es außer Kontrolle, viele Köche verderben den Brei. Das ist in diesem Fall gut.

Eine Versicherung behauptet dreist:

»Besonders dramatisch ist dabei, dass im Schnitt fast 9 von 10 Fahrradunfällen (85%) Kopfverletzungen nach sich ziehen. Ein Helm kann hier Schlimmstes verhindern.«

(Zurich unterstützt „Fahrradhelm macht Schule“)

Wie wir seit einem OLG-Urteil vor ein paar Tagen wissen, gehören Versicherungen zu den Profiteuren des Helmglaubens. Das Volk lehnt Fahrradhelme mehrheitlich ab, die Tragequote lag 2009 im Mittel über alle Altersgruppen bei gerade mal 11% – wie auch zwei Jahre darauf noch. Einer Versicherung kann also nichts besseres passieren als ein Gericht, welches das übliche und normale Verhalten für leichtsinnig erklärt.

Für den Tagesspiegel versucht sich Markus Mechnich darin, die Schutzwirkung von Fahrradhelmen für unbestreitbar zu erklären. Er verwendet übliche Taktiken: Verzicht auf absolute Zahlen und damit die Risikobewertung, stattdessen Prozentangaben, eine zahlenunabhängige Argumentation und die subtile Einordnung von Kopfverletzungen zwischen Speiseröhrenkrebs und akuter Strahlenkrankheit auf der Schreckensskala. Die Quintessenz: Unfälle, bei denen der Helm helfen könnte, seien nicht auszuschließen, und deshalb solle man unbedingt einen tragen.

Dabei unterläuft ihm ein Lapsus:

»Nach Zahlen des Gesamtverbands der deutschen Versicherer erleiden Radfahrer bei 25,7 Prozent aller schweren Unfälle Verletzungen am Kopf.«

(Ohne Kopfschutz wird es oft tödlich)

Was steht da? Da steht, dass 74,3% der schweren Fahrradunfälle ohne Kopfverletzung abgehen. Selbst wenn wir die ganzen harmlosen Stürze ausklammern, finden wir nur einen bescheidenen Anteil von Kopfverletzungen. Mechnich merkt das auch und versucht sich eilig in die Behauptung zu retten, das Gehirn sei doch wichtiger als Arme und Beine. Dabei unterschlägt er allerdings, dass von Kopf- und nicht von Gehirnverletzungen die Rede ist. Wie eine Kopfverletzung (nebst Beanspruchung der Halswirbelsäule) mit Helm aussieht, kann man sich in einem Helm-PR-Video anschauen, welches wiederum aus der Versicherungsbranche stammt. Zahlen, Analysen und Risikobetrachtungen sucht man dort vergebens, und so muss jeder die gezeigten Bilder selbst interpretieren. Ich sehe im Video ab 6:00 einen Faceplant, der ohne Helm bestenfalls genauso, schlimmstenfalls glimpflicher abgelaufen wäre.

Mechnich – oder sein Kronzeuge Prof. Pohlemann von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, so richtig klar wird das nicht – argumentiert weiter:

»Normalerweise verhindert der Schädelknochen solche Schäden. Radler erreichten allerdings so hohe Geschwindigkeiten, dass der Knochen bei manchen Stürzen nicht mehr ausreiche.«

(Ohne Kopfschutz wird es oft tödlich)

Das klingt plausibel, bis man sich anschaut, was bei hohen Geschwindigkeiten tatsächlich passiert. Beim Crashtest Pedelec mit 45 km/h in eine Autotür macht der Fahrradhelm keinen Unterschied. Die schwersten Verletzungen sind im Brustbereich zu erwarten und der Kopf schlägt wieder mit dem unbehelmten Gesicht auf.

Ich werde weiter ohne Sturzkappe fahren, wie die meisten Erwachsenen. Fahrradhelme finden eine nennenswerte Verbreitung nur unter unmündigen Kindern. Zu Recht.

Greenpeace-Logik

Es gibt Menschen und Organisationen, für die sind beherrschbare Unfälle der größte anzunehmende Unfall:

»Sollte Tepco die Lage in Fukushima unter Kontrolle bekommen, könnte der falsche Eindruck entstehen, selbst schwere Atomunfälle seien vom Menschen beherrschbar.«

(Tagesspiegel: Fukushima: Kampf mit den Elementen)

Die träumen wohl weiter vom zweiten Tschernobyl. Gut, dass wir das endlich mal empirisch klären.

Stolperkampagne

Stolpern hatten wir hier schon: ein Alltagsrisiko, das uns vielleicht gerade deswegen kaum ängstigt. Wir fürchten uns lieber vor Terroristen, Flugzeugabstürzen oder Kindermördern. In der Schweiz läuft nun gerade eine Kampagne, um die Bürger auf dieses Risiko aufmerksam zu machen. Zwar wird sie wohl ebenso wirkungslos verpuffen wie alle anderen gut gemeinten Werbekampagnen, aber wenigstens ist das Thema sinnvoll gewählt. Die häusliche Umgebung ist nämlich in absoluten Zahlen gefährlicher als der Straßenverkehr. Die Website zur Kampagne: http://www.stolpern.ch/.

Unterschätzte Risiken: Händis

Ich werde wohl nie begreifen, wie man sich von einem Stück Technik bis zur Idiotie herumkommandieren lassen kann:

»Auf einem unbeschrankten Bahnübergang bei Münchhausen ist am Dienstag auf der Strecke Marburg-Frankenberg ein Zug mit einem Auto zusammengestoßen.
(…)
Der Führerschein-Neuling sagte aus, sein klingelndes Handy habe ihn abgelenkt, deshalb habe er den Zug übersehen.«

(HR: Handyklingeln führt zu Zugunfall)

Überraschend

Angst ums Kind? Das ist oft Angst vor Unfällen, von der sich Eltern einschüchtern lassen. Die Realität:

»Krankheiten sind die häufigste Ursache von Schwerbehinderungen. Unfälle spielen dagegen keine Rolle. Nur 0,45 Prozent der schwerbehinderten Kinder und Jugendlichen haben sich ihre Beeinträchtigung bei einem Unfall zugezogen.«

(Finanztest 1/2010, S. 60)

Noch ein Grund, sich von Fahrradhelmen nicht zu viel Schutz zu erhoffen.

Weihnachten überleben

Weihnachten zu überleben ist nicht so einfach, denn zu Hause lauern viele Gefahren. Noch ein wenig gefährlicher als andere lebt, wer sein Haus mit Jongleuren teilt, denen das Diabolo ausgerechnet auf der Treppe herunterfällt.

Unfallgefahr: Diabolo liegt auf der Treppe herum, Frau mit Wäschekorb kommt die Treppe herunter und sieht es nicht
(Foto: DSH)

Unser Tipp: bremsen Sie rechtzeitig den Bewegungsdrang Ihrer Mitbewohner. Geeignete Mittel hält jede gut sortierte Hausapotheke bereit. Weihnachten überleben weiterlesen

Unterschätzte Risiken: Parken ohne Helm

Echo Online berichtet aus Mörfelden-Walldorf:

»Schwere, aber nicht lebensbedrohende Schädelverletzungen hat sich ein 77 Jahre alter Autofahrer am Montag gegen 16.55 Uhr bei einem Verkehrsunfall in der Oderstraße zugezogen. Wie die Polizei erst jetzt mitteilt, hatte der Mann nach dem Parken bemerkt, dass der Schlüssel seines Wagens noch steckte. Als er diesen von der Beifahrerseite aus abziehen wollte, drehte er ihn in die falsche Richtung und betätigte den Anlasser …«

Beim Parken vom eigenen Auto überrollt zu werden ist schon eine Leistung.

Unterschätzte Risiken: Leitplanken

Leitplanken sind eine feine Sache. Sie halten ein außer Kontrolle geratenes Fahrzeug auf seiner Fahrbahn und können so zwar keinen Unfall verhindern, aber oft die Folgen reduzieren. Dass ihre Wirkung Grenzen hat, sieht man regelmäßig bei Lkw-Unfällen. Sie können aber auch zu den Unfallfolgen beitragen, etwa wenn jemand ein Auto baut, das sich unter die Leitplanke schiebt:

»Der Fahrer geriet gegen 3 Uhr mit seinem Cabrio-Sportwagen bei hoher Geschwindigkeit ins Schleudern und verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug. Der Wagen drehte sich und schob sich auf einer Länge von etwa 50 Metern unter die Leitplanke.«

(HR Online:
Erlkönig verunglückt: Porsche-Tester rast in den Tod)

Gut, dass sie das bei einer Testfahrt gemerkt haben.

Radfahren ist ja sooo gefährlich

Woher kommt die gern nachgeplapperte Behauptung, Radfahren sei besonders gefährlich? Unter anderem von Leuten, die es besser wissen müssten. Das zeigt uns Ben Goldacre im Guardian sowie in seinem Blog Bad Science. Ihm ist eine Pressemeldung in die Hände gefallen, die einen dramatischen Anstieg der Fahrradunfälle behauptet. Diese Behauptung ist vorurteilskompatibel, aber völliger Blödsinn, wie er nachvollziehbar zeigt. Quelle der Desinformation: ein Versicherungsunternehmen.

Unterschätzte Risiken: Fußgängerampeln

Der Hessische Rundfunk berichtet:

»Eine Fußgängerin ist am Samstagabend durch den umknickenden Mast einer Fußgängerampel lebensgefährlich verletzt worden. Ein 19-Jähriger war mit seinem Auto aus bislang ungeklärter Ursache gegen den Mast geschleudert. Dadurch knickte der Mast um und traf die an der Ampel wartende 45-jährige Frau am Kopf.« 

Sie trug keinen Helm, nehme ich an.

Unterschätzte Risiken: Frühjahrsputz

Zur Abwechslung in dieser Kategorie mal ein durch und durch ernsthafter Sicherheitshinweis. Die Süddeutsche erinnert uns an eine gern verdrängte Tatsache:

»Im Jahr 2006 sind nach der Zählung des Statistischen Bundesamtes (destatis) 6455 Menschen bei häuslichen Unfällen ums Leben gekommen. Das sind mehr als im gleichen Zeitraum im Straßenverkehr (5174). Während die Zahl der Verkehrstoten kontinuierlich sinkt, steigt die Zahl der Todesopfer im häuslichen Bereich stetig an.«

Tragt Helme im Haushalt! Das empfiehlt auch die Hannelore-Kohl-Stiftung. Nun ja, nicht ganz: ginge es nach deren Kampagnen, müsste man Helme beim Radfahren und beim Schuhrollen tragen, nicht im Haushalt. Gut, dass wir es besser wissen.

Restrisiko

In Queis bei Halle ist ein Hochregal eines Papiergroßhandels eingestürzt. Mehrere Menschen wurden verletzt, mindestens einer getötet. Dabei hatte man eigentlich alles richtig gemacht und war gerade dabei, das Risiko zu bewerten. Die Leipziger Volkszeitung berichtet:

»Nach Unternehmensangaben wurde das Unglück möglicherweise beim Unfall mit einem Gabelstapler ausgelöst, der sich schon am Dienstag ereignet hatte. Der Stapler war in das Regal gefahren, das daraufhin als einsturzgefährdet galt und am Mittwochnachmittag zusammenbrach. Zu diesem Zeitpunkt berieten laut Unternehmen Gewerbeaufsicht und THW über weitere Sicherheitsmaßnahmen. „Mehrere Leute waren an dem Regalsystem, als es dominoartig in sich zusammenrutschte. Das ist alles sehr tragisch, wir stehen unter Schock“, sagte ein Unternehmensvertreter.«

(weitere Berichte: SpOn, Süddeutsche)

Shit happens. So etwas ist wohl gemeint, wenn es heißt, hundertprozentige Sicherheit gebe es nicht.